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verteidiger*innen in Gefahr

El Salvador: Wenn Wasserversorgung zum Verbrechen wird

Kirsten Clodius, CIR

Der Fall von Tacuba ist eine von 9 Fallbeschreibungen aus unserem Dossier: Kriminalisierung von Menschenrechtsverteidiger*innen in Zentralamerika. Sauberes Wasser für tausende Familien: In einem selbstorganisierten Gemeinschaftsprojekt haben die Menschen im salvadorianischen Tacuba erreicht, woran die Regierung vielerorts scheitert. Doch ein Bürgermeister reißt das Projekt an sich und die Initiator*innen werden seit Jahren strafverfolgt. Mithilfe öffentlicher Aufmerksamkeit schaffen sie es, sich zu wehren.
 

Im Juni 2015 erließ die salvadorianische Menschenrechtsombudsstelle besondere Schutzmaßnahmen für die verfolgten Gemeindemitglieder in Tacuba. Foto: Alfredo Carías

Die Kriminalisierung von Menschenrechtsverteidiger*innen findet in diesem Fall auf lokaler Ebene statt und spielt sich innerhalb eines Systems ab, in dem Amtsmissbrauch in der Munizipalverwaltung, Korruption und die Beeinflussung der Justiz einem immer wiederkehrenden Muster folgen. Ein Bericht1, der im Dezember 2019 von der Plattform Foro del Agua El Salvador (Wasserforum El Salvador) bei der Interamerikanischen Menschenrechtskommission vorgestellt wurde, stellt die Vorgänge als einen von drei emblematischen Fällen von Verletzung des Menschenrechts auf Wasser vor.

Im Jahr 1996 gründeten Mitglieder aus den Gemeinden El Rodeo I, El Rodeo II, San Francisco, La Pandeadura, Loma Larga, San Rafael und La Puerta die Organisation für kommunale Entwicklung ADESCOBD (Asociación de Desarrollo Comunal Bendición de Dios). Mithilfe von internationalen Projektgeldern, vor allem aus den USA, einem finanziellen Eigenbeitrag und körperlicher Arbeitskraft hunderter Frauen und Männer, hatten sie zuvor ein Jahr lang unter großen Anstrengungen in dem sehr zerklüfteten Gebiet ein 18 Kilometer langes Wasserleitungssystem installiert und ermöglichten damit 2000 Familien Zugang zu sauberem Wasser.

Unmut und Verdachtsmomente gegen die Verwaltung

Bei der Registrierung als eingetragener Verein vertrauten die ursprünglichen Initiator*innen dem Rat einiger Gemeindevertreter*innen zu einem vereinfachten, schnellen Anerkennungsverfahren. Dieses Verfahren sieht die Registrierung mit einer zunächst beschränkten Anzahl an vorgeschlagenen Vorstandsmitgliedern vor, schließt aber eine spätere Erweiterung des Vereinsvorstands nicht aus. Mit dieser Perspektive wurde im Schnellverfahren ein vorläufiger Vorstand des Vereins ernannt. Dieser ignorierte dann aber die anschließenden Anträge für Vorstandsämter jahrelang. Nur der Antrag des damaligen Bürgermeisters Joel Ramírez Acosta, der sich ebenfalls als Anwohner einer der beteiligten sieben Gemeinden um eine leitende Funktion im Verein bemühte, wurde berücksichtigt. Der Unmut über die Verwaltung der ADESCOBD wuchs, als in der Bevölkerung die Vermutung aufkam, dass der Verein für den Wahlkampf des Bürgermeisters Gelder veruntreute und immer weniger Transparenz über die Geldflüsse herrschte.

Am 12. März 2007 gelang es den Mitgliedern, den Vorstand in einer außerordentlichen Vollversammlung in einer demokratischen Wahl abzusetzen und neu zu bilden. Die amtliche Bestätigung dieses Wahlergebnisses wurde jedoch trotz seiner Rechtmäßigkeit vom zuständigen Gemeindesekretär von Tacuba, vermutlich auf Anweisung des Bürgermeisters, nie vollzogen. Die Gewählten erstatteten daher am 3. September 2007 Anzeige bei der entsprechenden Kammer für Rechtsstreitigkeiten des Obersten Gerichtshofs2. Sie erhielten aber erst gut fünf Jahre später, am 21. November 2012, recht.

Beginn der Kriminalisierung von Gemeindevertretern

In der Zwischenzeit, am 10. August 2009, hatte aber der abgewählte Vorstand per Beschluss die gesamte Organisation aufgelöst. Das Vermögen und der Besitz von ADESCOBD sollte zum Ausgleich von ausstehenden kommunalen Steuerzahlungen und Gebühren an den Gemeinderat übertragen werden. Damit eskalierte der Konflikt endgültig und der neue Vorstand reichte eine Klage zur Aufhebung dieses Beschlusses ein, solange der Oberste Gerichtshof kein abschließendes Urteil in ihrem Berufungsantrag gefällt hatte. Gegen den Bürgermeister hielt sich der Verdacht der Veruntreuung von Geldern des Vereins, aber auch trotz Anzeigen gegen ihn, unter anderem sogar seitens des staatlichen Wasserversorgungsunternehmens Anda im Jahr 2013 wegen betrügerischer Verwaltung des Wassersystems, eröffnete die Staatsanwaltschaft nie ein Verfahren gegen ihn.

Am 22. Juli 2016 wurden sechs von sieben Gemeindevertretern, die eine Schlüsselrolle bei der Organisation der Trinkwasserverteilung für ihre Gemeinden hatten, ohne jede Voruntersuchung von der Polizei festgenommen, um sie wegen angeblicher Gesetzesverstöße, dem Diebstahl von Energie und Flüssigkeiten, schweren Diebstahls und der widerrechtlichen Aneignung einer Immobilie vor Gericht zu bringen. David Elías Aguirre, Marco Antonio Jiménez González, Celedonio Martínez Santos, Tomás Humberto Zúniga González, Wilfredo Aguilar Rivera, Luis Álvarez Cabezas und Héctor Antonio Sánchez Zaldaña waren zuvor mehrfach vom damaligen Bürgermeister angezeigt worden, seit dieser in einem Beschluss die Nutzung des Wassersystems durch die Gemeindemitglieder verboten hatte.

Bereits seit 2015 sollten ihnen eigentlich nach einer Resolution der salvadorianischen Menschenrechtsombudsstelle (Procuraduría para la Defensa de los Derechos Humanos – PDDH) aufgrund anhaltender Verfolgung besondere Schutzmaßnahmen gewährt werden. Die zuständige Staatsanwaltschaft ignorierte dies jedoch und verhinderte die Verhaftung der sieben Gemeindevertreter nicht3. Die Männer wurden überraschend im Morgengrauen aus ihren Häusern geholt und in Untersuchungshaft gebracht, aus der sie aber aufgrund fehlender Beweise und mithilfe des Protests sozialer Organisationen nach einer Woche freigelassen wurden.

Widerstand und Freispruch in zwei Punkten

Am 13. Dezember 2017 stufte die PDDH die Strafanzeigen als Kriminalisierung legitimer Menschenrechtsarbeit ein. Das stärkte die Stimme der anwaltlichen Verteidigung der Betroffenen deutlich4. Nach einem schleppend verlaufenden Verfahren wurden die kriminalisierten Gemeindevertreter drei Jahre später, am 22. Juli 2019, durch ein Urteil der Strafkammer des Obersten Gerichtshofs, gegen die Klage der Staatsanwaltschaft, von den ersten zwei Anklagepunkte freigesprochen. Unter Begleitung der PDDH fand ein konstruktiver Dialogprozess zwischen der Munizipalverwaltung von Tacuba mit ihrem neuen Bürgermeister Luis Carlos Milla García und den sieben Gemeinden statt. Es wurde vereinbart, dass ihnen das Wasserversorgungssystem offiziell zurückgegeben und auch zukünftig von weiteren Anzeigen abgesehen werden würde. Die Staatsanwaltschaft hielt trotzdem am dritten und schwersten Vorwurf des schweren Diebstahls fest. Das Verfahren gegen die Gemeindemitglieder wird somit bis heute fortgesetzt – allerdings mit starken Verzögerungen durch wiederholte Terminverschiebungen geplanter Gerichtssitzungen5.

Um die Annullierung der Sitzung mit der Urteilsverkündung über den dritten Vorwurf, die am 19. August 2019 stattfand, zu erwirken, reichte die Verteidigung einen Antrag bei Gericht ein. Die Richterin hatte ausschließlich die Beweisdarlegung für eine Schuld der Angeklagten durch den Staatsanwaltschaft zugelassen, nicht aber den Unschuldsbeweis der Verteidigung. Außerdem hatte die Verteidigung keine Informationen darüber erhalten, was für Beweise für die Schuld vorgelegt werden würden. Ein folgender Gerichtstermin im Januar 2020 wurde zunächst auf April 2020 verschoben6, fand aber aufgrund der Corona-Pandemie nicht statt. Ein neuer Gerichtstermin ist bislang nicht bekannt7.

Solidaritätsaktion der Bevölkerung am 26. Juli 2016 für die kriminalisierten Gemeindevertreter in Tacuba: „Todos somos la voz de Tacuba- Wir alle sind die Stimme Tacubas”. Foto: Alfredo Carías

Eine bislang erfolgreiche Strategie zur Verteidigung der Betroffenen ist die Erzeugung hoher öffentlicher und medialer Aufmerksamkeit: Nationale zivilgesellschaftliche Organisationen und Zusammenschlüsse, aber auch internationale Nichtregierungsorganisationen8 begleiten den Fall seit über zehn Jahren.

Hilfreiche Öffentlichkeits- und Kampagnenarbeit

Hervorzuheben ist dabei die Asociación Humanitaria Provida (Humanitäre Vereinigung „Für das Leben“), die in Tacuba arbeitet, Öffentlichkeits- und Kampagnenarbeit zum Fall durchführt und die Verteidigung der Angeklagten vor Gericht anwaltlich berät. Außerdem die multimediale Nachrichtenplattform ARPAS und insgesamt die Arbeit des Foro del Agua El Salvador, einer Lobby-Allianz aus über 100 Organisationen, die den Fall unter anderem bei der Interamerikanischen Menschenrechtskommission angezeigt hat. Die Video-Dokumentation des Falls namens “Retratos de dignidad: La historia de los defensores del agua”9, in der die Angeklagten und Angehörige zu Wort kommen, wurde und wird weiterhin in den sozialen Medien geteilt und auf verschiedenen Youtube-Kanälen veröffentlicht.

In Briefen, Video-Botschaften und E-Mails aus dem In- und Ausland, unter anderem an die Kommunikationsabteilung der Staatsanwaltschaft und den Staatsanwalt selbst, wird bis dato das Fallenlassen der Klage gefordert. Auch die Tatsache, dass die PDDH mehrfach Position bezog und einen Dialogprozess angestoßen hat, trug bisher maßgeblich zur Schlichtung des Falls bei.

Unklare Rechtslage zur Verteilung von Wasser

Ein gesetzliches Vakuum ermöglicht und forciert Wasserkonflikte in El Salvador. Obwohl es ein regenreiches Land ist, haben Entwaldung und massive Wassernutzung durch die Agrarindustrie, wie zum Beispiel Zuckerrohrplantagen, stark zur Verminderung und Verunreinigung der Süßwasserquellen beigetragen. Zudem ist die Bevölkerungsdichte hoch und ein defizitäres Wassermanagementsystem verschärft die Probleme. So gelten in den urbanen Regionen mehr als 95 Prozent der Gewässer als verschmutzt10. Aber auch in ruralen Gebieten lassen Qualität und Quantität des Wassers zu wünschen übrig und das Absinken des Grundwasserspiegels beeinträchtigt die Versorgung. In ländlichen Gebieten ist nur etwa die Hälfte der Haushalte an die öffentliche Wasserversorgung angeschlossen.

Angesichts der Unfähigkeit seitens des salvadorianischen Staates, das Menschenrecht auf Wasser zu garantieren, organisiert die Bevölkerung sich in vielen Gegenden selbst, um an das dringend benötigte Trinkwasser zu kommen. Insgesamt erreichen über 2.300 selbstorganisierte Genossenschaften11 ca. 260.000 Familien, das entspricht knapp der Hälfte der ländlichen Bevölkerung. Die gemeinschaftlich für die Verteilung des Wassers organisierten Komitees der Genossenschaften funktionieren ehrenamtlich und werden selbstbestimmt verwaltet. Einige Genossenschaften sind von den Kommunalregierungen als Vereine für kommunale Entwicklung akzeptiert und die Mitglieder beziehen gegen eine Gebühr Wasser.

Genossenschaften bauen und verwalten aber nicht nur die Infrastruktur der Wasserversorgung, sie bilden in El Salvador auch die politische Basis einer breiten Bewegung, die sich für ein Wassergesetz einsetzt. Ein solches Wassergesetz soll die Möglichkeit einer Privatisierung der Wasserversorgung ausschließen und die Wasserverteilung rechtlich regulieren. Ein Gesetzesvorschlag liegt der Legislative derzeit zur Diskussion vor. Ein Urteil gegen die Gemeindemitglieder hätte negative Signalwirkung für den Kampf der Menschen in El Salvador um Selbstbestimmung und das Menschenrecht auf Wasser.

 

  1. Für die folgende Beschreibung (sofern keine weitere Quelle angegeben) Siehe Foro del Agua El Salvador: „Injusticia Hídrica y Responsabilidad del Estado ante Violaciones al Derecho Humano al Agua, el derecho a defenderlo y otros derechos fundamentales”, http://forodelagua.org.sv/wp-content/uploads/2019/12/INFORME-CIDH-Derecho-Humano-al-Agua-caso-Tacuba-Puerto-de-La-Libertad-y-Valle-el-%C3%81ngel-1.pdf.
  2. Als entsprechende Instanz für Rechtsstreitigkeiten des Obersten Gerichtshofes ist in El Salvador die Sala de lo Contencioso Administrativo de la Corte Suprema de Justicia (wörtliche deutsche Übersetzung: Verwaltungskammer für Rechtsstreitigkeiten des Obersten Gerichtshofs) verantwortlich.
  3. Procuradoría de los derechos humanos: „Informe de labores de la Procuradoría para la defensa de los derechos humanos. Junio
    2015-Mayo 2016”, S.54, https://www.pddh.gob.sv/portal/wp-content/uploads/2017/09/Informe-Anual-2015-2016-con-analisissituacional.pdf.
  4. ARPAS: „PDDH reconoce criminalización de defensores del agua de Tacuba que enfrentan proceso penal en caso de Juntas de
    Agua“ (13.12.2017), https://arpas.org.sv/2017/12/pddh-reconoce-criminalizacion-de-defensores-del-agua-de-tacuba-que-enfrentan-
    proceso-penal-en-caso-de-juntas-de-agua/.
  5. ARPAS: „FGR insiste en criminalizar a defensores del agua de Tacuba“ (22.11.2019), https://arpas.org.sv/2019/11/fgr-insiste-en-criminalizar-a-defensores-del-agua-de-tacuba/
  6. ARPAS: „FGR actúa con «saña» contra defensores del agua de Tacuba, señala defensa“ (07.01.2020), https://arpas.org.sv/2020/01/fgr-actua-con-sana-contra-defensores-del-agua-de-tacuba-senala-defensa/.
  7. Stand: Oktober 2020
  8. Aus dem Ausland unterstützte z.B. die US-amerikanische Kampagnenorganisation Cispes in Washington: http://cispes.org/section/
    drop-all-charges-against-water-defenders-tacuba oder die baskische Organisation Mundubat aus Bilbao https://www.mundubat.org/la-defensa-del-agua-implica-lucha/.
  9. Deutsch: „Portraits der Würde: Die Geschichte der Wasser-Verteidiger*innen“, https://www.youtube.com/watch?v=H-PAtamzIE4
  10. Nur siebzehn von 121 Flüssen haben eine gute Wasserqualität. Für die Trinkwassergewinnung allein durch die konventionelle Anwendung von Chlor ist allerdings gar keins der Gewässer geeignet, dafür sind auf Grund der starken Verunreinigung weitere Aufbereitungsprozesse notwendig, Siehe https://www.elsalvador.com/eldiariodehoy/anda-contaminacion-del-agua-escasezde/687588/2020/.
  11. Asamblea Legislativa: Exoneran de pago a más de 2 mil juntas administradoras de agua, https://www.asamblea.gob.sv/node/8527.

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Titelbild_Dossier

Menschenrechtsverteidiger*innen werden weltweit bedroht und verfolgt, stigmatisiert und diffamiert, zu Unrecht angezeigt, verhaftet, verletzt oder gar ermordet. Einige verschwinden spurlos. Auch in Zentralamerika zeigt sich dieses Phänomen immer häufiger. Das 60-seitige Dossier soll dieses Unrecht sichtbarer machen und dazu beitragen, die Kriminalisierung von Menschenrechtsverteidiger*innen zu beenden.

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Im Fall von Carlos Ernesto Choc Chub wird seine journalistische Arbeit als Straftat
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