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verteidiger*innen in Gefahr

El Salvador: Lang erkämpfter Freispruch für Sonia Sánchez im Widerstand gegen ein Bauprojekt

Kirsten Clodius, CIR

Der Fall von Sonia Sánchez ist eine von neun Fallbeschreibungen aus unserem Dossier „Kriminalisierung von Menschenrechtsverteidiger*innen in Zentralamerika“. Die Umweltschützerin Sonia Sánchez klagte gegen ein Wohnbauprojekt, das ohne gültige Genehmigung von einem der größten Unternehmen El Salvadors in einem Naturgebiet in die Wege geleitet wurde. Ein ungleicher Kampf, in dem sie mehrfach kriminalisiert wurde, am Ende aber Recht bekam.

Sonia Sánchez im Dezember 2020. Sie engagiert sich gegen die Wasserprivatisierung in ihrem Land. „El Agua es un derecho, no una mercancia“ – Wasser ist ein Recht, keine Handelsware, steht auf ihrer Trinkflasche. Foto: Alfredo Carías

In Santo Tomás, einem Munizip südlich der Hauptstadt San Salvador im gleichnamigen Department San Salvador, gibt es seit 2015 große Konflikte in Zusammenhang mit Industrie- und Bauprojekten, die die Einwohner*innen in ihren Lebensgrundlagen empfindlich treffen. Insgesamt wird die Bevölkerung von Santo Tomás auf 35.000 Einwohner*innen geschätzt. Der Streitfall, um den es bei der Kriminalisierung von Sonia Jeannette Sánchez Pérez (Sonia Sánchez) geht, bezieht sich insbesondere auf ein Wohnungsbauprojekt in El Porvenir.

El Porvenir liegt in einer ursprünglich bewaldeten Gegend im Munizip Santo Tomás, mit reichem Wasserreservoir und einem für die Landwirtschaft wertvollen Boden. El Porvenir gilt deshalb auch als die grüne Lunge der Hauptstadt San Salvadors. Bedroht wird das Naturgebiet durch städtische Bauprojekte, denn die Lage ist attraktiv zum Wohnen. 2015 initiierte die Unternehmensgruppe Roble das Wohnbauprojekt las Brisas de Santo Tomás, das später unter dem Namen Sierra Verde fortgesetzt wurde.

Waldrodung begann ohne gültige Autorisierung

Bereits über zehn Jahre zuvor hatte Roble das Land dafür erworben, bekam aber keine Genehmigung für die Durchführung des Vorhabens. 2009 gelang dies schließlich, als der Umweltminister Carlos Guerrero, noch unter Präsident Elías Antonio Saca, am Ende seiner Amtszeit die Bebauung der bewaldeten Gebiete in Santo Tomás durch eine Veränderung des Flächennutzungsplans autorisierte. Eine Auflage legte fest, dass das Projekt innerhalb eines Jahres begonnen werden müsse. Als Roble dann 2015 mit der Rodung des Gebietes begann, gab es längst keine gültige Autorisierung mehr und das Unternehmen hätte erst eine neuerliche Erlaubnis einholen müssen, die zudem eine aktualisierte Umweltverträglichkeitsstudie vorgesehen hätte. Stattdessen bekam die Firma informell grünes Licht des Ministeriums, um nun den Bau von 416 Wohnhäusern in Angriff zu nehmen. Das Projekt betrifft eine Fläche von 28 Quadratkilometern, ein großes, terrassiertes Gelände mit vielen Bachläufen und Quellen. Insgesamt wurde ein Bestand von mehr als 1.300 über hundert Jahre alten Bäumen gefällt sowie tausende Obstbäume und Buschhölzer1.

Die Roble Unternehmensgruppe (Grupo Roble) ist ein sehr einflussreiches, transnationales Unternehmen, das in El Salvador und in anderen zentralamerikanischen Ländern auf den Bau von Wohnungen und Einkaufszentren spezialisiert ist. Roble ist eins von fünf Tochterunternehmen der Poma-Gruppe, einem der größten Unternehmen El Salvadors mit hundertjähriger Geschichte. In rentablen Gebieten investiert Roble systematisch in Großbauprojekte für die Mittelschicht. Das Unternehmen besitzt außerdem die größte Kette von Einkaufszentren in der Region.

Mangelnde Transparenz befeuert Widerstand in der Bevölkerung

Die Bevölkerung von El Porvenir wurde über das Bauvorhaben nicht informiert, geschweige denn konsultiert. Es traf die Gemeinde völlig unvermittelt, als die Rodungsmaschinen und Bauwagen eintrafen. Angesichts der gravierenden Bedrohung organisierten sich die Bewohner*innen so gut es ging, um zunächst Anzeige zu erstatten und sich öffentlich gegen das Vorhaben, unter anderem durch Straßenproteste, zu wehren.

Die Menschen in El Porvenir leben hauptsächlich von Subsistenzwirtschaft: dem Anbau von Kaffee, Obst und Gemüse. Zugang zu formeller Arbeit gibt es für sie kaum. Durch das Aufstauen und die Entnahme von Wasser durch das Bauunternehmen kam es zu einer Wasserverknappung für die dort lebenden Menschen. Die Wasserversorgung der Haushalte wurde rationiert, teilweise gab es nur jeden dritten Tag Wasser in den Leitungen derer, die über einen Anschluss verfügten.

Der Grundwasserspiegel in den Brunnen sank stark ab, und die Bewässerung der Anbauflächen war nur eingeschränkt möglich. Die Proteste der Bevölkerung wurden von der Polizei recht bald niedergeschlagen und gleichzeitig begann die Verfolgung von Aktivist*innen, die sich dem Projekt öffentlich widersetzten. Zudem kam es zu einer Spaltung der Bevölkerung, wie sie auch in ähnlichen Konfliktfällen provoziert wird, um zivile Widerstände zu schwächen. Grupo Roble warb intensiv mit „Ausgleichsarbeiten“ und versprach den Wiederaufbau des Schulzentrums von El Porvenir, Straßenverbesserungen und Ausbau von Transportwegen, Zugang zu Trinkwasser und Reparaturen von Trinkwassertanks, Wiederaufforstungskampagnen sowie die Schaffung von mindestens 500 direkten Arbeitsplätzen. Keines dieser Versprechen wurde eingelöst.

Verfolgung und Kriminalisierung durch falsche Anschuldigungen

Es waren am Ende vor allem Mitglieder aus Frauenorganisationen, die in der ersten Reihe des Widerstands standen. Sie gehörten unter anderem der feministischen Frauenbewegung von Santo Tomás (Momujest) und der Gruppe junger Feministinnen Ameyalli an. Unterstützung erhielten sie von landesweit agierenden Organisationen. Die Umweltorganisation UNES (Unidad Ecológica Salvadoreña) und Tutela Legal zum Beispiel begleiteten sie unter anderem mit juristischer Beratung. Viele von ihnen waren Diffamierungen und Angriffen seitens der Arbeiter*innen des Bauprojekts ausgesetzt. Diese bedrohten außerdem die Bewohner*innen des Ortes und Menschenrechtsverteidiger*innen2.

Bewaffnete Angestellte der Sicherheitsfirma der Roble Gruppe riefen Sonia Sánchez und anderen Umweltschützer*innen zu, sie hätten „eine Ladung Blei verdient“3. Obwohl die Geschehnisse angezeigt wurden, untersuchte die Generalstaatsanwaltschaft der Republik die Einschüchterungen, Drohungen und andere verbale Misshandlungen seitens des Unternehmens nicht zielführend.

Parallel begann die Kriminalisierung durch falsche Anschuldigungen vor Gericht. Eine der am stärksten von dieser Kriminalisierung betroffenen vier Frauen ist Sonia Sánchez. Zusätzlich zur Kriminalisierung wurde Sánchez von der Gemeindeverwaltung gezielt als Person diskreditiert und als Entwicklungsgegnerin bezeichnet, die von der internationalen Zusammenarbeit dafür bezahlt werde und so ihren Lebensunterhalt bestreite. Ihr Engagement als Umweltschützerin sollte durch ihre Kriminalisierung vor Gericht unterbunden werden.

Zweimal stand Sonia Sánchez vor Gericht

Am 29. September 2015 erstattete die Roble Gruppe eine Anzeige gegen Sonia Sánchez und bezichtigte sie für ihre Aussagen gegenüber drei Fernseh- und Radiosendern der Verleumdung und Diffamierung. Dort hatte sie über die Folgen für die Umwelt durch das Bauprojekt gesprochen und kritisiert, dass das Unternehmen Roble rechtswidrig handle. Außerdem beschuldigten die Roble-Mitarbeiter*innen sie der Nötigung, da sie ihnen den Zugang des Baugebiets durch eine Straßensperre unmöglich gemacht habe. Sonia Sánchez wurde in diesem Prozess freigesprochen und zusammen mit anderen Umweltschützer*innen wieder aus der Untersuchungshaft entlassen.

2016 erstattete die Roble Gruppe erneut Anzeige wegen Verleumdung und Diffamierung. Auch diesen Fall gewann Sánchez, jedoch ging die Roble Gruppe in Berufung. Das Unternehmen bot eine außergerichtliche Streitschlichtung an und forderte dafür von Sánchez eine Entschädigung von 25.000 US-Dollar sowie eine öffentliche Entschuldigung, was sie jedoch ablehnte. Nach mehreren Anhörungen wurde Sonia Sánchez am 19. August 2016 endgültig freigesprochen4.

Auch nach den gewonnenen Gerichtsprozessen5 ist Sonia Sánchez noch immer Verfolgung, Bedrohung und Gewalt6 ausgesetzt. Ihre gesamte Familie ist davon betroffen. Für eine Weile unterzutauchen und die Gemeinde zu verlassen, ist aus finanziellen und sozialen Gründen sehr kompliziert und stellt für sie keine Lösung dar.

Erfolgreiche Strategien im Widerstand gegen das Bauprojekt

Schutz durch Öffentlichkeit
Seit den Anschuldigungen gegen Sonia Sánchez gab es in Santo Tomás, zusätzlich zu dem Widerstand gegen das Projekt durch Teile der Bevölkerung, auch viel sichtbaren Protest gegen die Verletzung der Rechte von Menschenrechtsverteidiger*innen7. Die Zusprechung von Schutzmaßnahmen durch die Ombudsstelle zur Verteidigung der Menschenrechte8 (Procuraduría para la Defensa de los Derechos Humanos PDDH) seit dem 5. November 2015 und ihre Kritik an den mangelnden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft trugen entsprechend zur Erreichung eines Freispruchs bei. Eine Öffentlichkeitskampagne zu Sánchez‘ Verteidigung fand unter anderem in den sozialen Medien statt, und umfasste Kommuniqués9 und internationale Stellungnahmen. Vor allem alternative Medien berichteten darüber. Nationale und internationale NROs halfen, das Medieninteresse zu wecken, Interviews zu vermitteln und Informationen zur Verfügung zu stellen.

Schutz durch Menschenrechtsinitiativen und Nichtregierungsorganisationen
Sonia Sánchez gehört zur Frauenbewegung Momujest (Movimiento de Mujeres Santo Tomás) in Santo Tomás und hat sich weiteren Netzwerken angeschlossen. Diese sind jederzeit bereit, aktiv zu werden, sollte ihr erneut etwas passieren oder erneute Anschuldigungen vor Gericht gebracht werden. So wie am 7. Juni 2017, als die Polizei ohne Grund und Berechtigung über eine Mauer auf ihr Grundstück gelangte und in ihr Haus eindrang, um sie einzuschüchtern10. Derselbe Vorfall wiederholte sich drei Wochen später. Das Netzwerk IM-Defensoras11 veröffentlichte die Ereignisse auf nationalen und internationalen Kommunikationskanälen und forderte in einem Aufruf die Staatsanwaltschaft auf, die Schutzmaßnahmen für Sánchez zu garantieren und Übergriffe dieser Art zu verhindern. Cesta, ein salvadorianisches Mitglied der internationalen Bewegung Friends of the Earth unterstützte Sánchez durch massive Presse- und Kampagnenarbeit gegen die illegale Abholzung in Santo Tomás. Auch die international agierende Organisation zum Schutz von Menschenrechtsverteidiger*innen Frontline Defenders begleitete den Fall durch Öffentlichkeitsarbeit. 2019 wurde der Fall von Sonia Sánchez außerdem in einen für das UPR-Verfahren12 angefertigten Schattenbericht über die Situation der Menschenrechte in El Salvador aufgenommen.

 

  1. El Salvador Times: „Grupo Roble busca que ambientalista que los acusó de tala de árboles pida perdón” (22.08.2016),
    https://www.elsalvadortimes.com/articulo/sucesos/grupo-roble-busca-ambientalista-pida-perdon-acusaciones-talaindiscriminada-arboles-santo-tomas/20160819170402006234.html .
  2. Cuartopoder: „Sonia Sánchez, defensora medioambiental en El Salvador: Nos oponemos al mal llamado desarrollo” (01.07.2019),
    https://www.cuartopoder.es/internacional/america/2019/07/01/sonia-sanchez-defensora-medioambiental-en-el-salvador-nosoponemos-
    al-mal-llamado-desarrollo/ .
  3. Zu lesen in einem Interview mit Sonia Sánchez im Anhang einer universitären Abschlussarbeit von Journalismus-Student*innen
    über Kommunikationsformen organisierter Frauen im Widerstand gegen das Bauprojekt von Los Robles in Santo Tomas: „Formas de comunicación de las mujeres organizadas del Municipio de Santo Tomás, que se oponen al proyecto urbanístico implementado en la zona por el Grupo Roble en octubre del año 2015”, http://ri.ues.edu.sv/id/eprint/14617/.
  4. Diario Colationo: „Ambientalista gana batalla judicial al Grupo Roble” (26.08.2016), https://www.diariocolatino.com/ambientalistagana-batalla-judicial-al-grupo-roble/.
  5. Dokumentation der Gerichtsverhandlung unter: http://www.jurisprudencia.gob.sv/DocumentosBoveda/D/1/2010-2019/2016/09/BF785.PDF
  6. Siehe https://im-defensoras.org/2017/06/alertadefensoras-el-salvador-allanan-domicilio-de-la-defensora-sonia-sanchez/
    Siehe auch: https://www.frontlinedefenders.org/en/profile/sonia-jeannette-sanchez-perez.
  7. Für einen bildlichen Eindruck siehe Fotodokumentation einer Protestaktion der Organisation Las Dignas gegen die Verfolgung von Sonia Sánchez und anderen https://www.lasdignas.org.sv/las_dignas_apoyan_a-ambientalista_sonia_sanchez/.
  8. Gato Encerrado „PDDH dicta medidas de protección ambientalista perseguida por grupo Roble” (06.11.2015)
  9. Ein Kommuniqué, das von 26 Organisationen unterzeichnet wurde, richtete klare Forderungen an die Staatsanwaltschaft, Polizei und zuständige Behörden, https://www.unes.org.sv/wp-content/uploads/2017/01/Demanda-por-grupo-Roble-Sonia-Sanchez.pdf.
  10. https://im-defensoras.org/2017/06/alertadefensoras-el-salvador-allanan-domicilio-de-la-defensora-sonia-sanchez/
  11. Iniciativa Mesoamericana de las defensoras de los derechos humanos: Die IM-Defensoras ist eine mittelamerikanische Vernetzungsstruktur für Frauen, die Menschenrechte verteidigen. Sie entstand bereits 2010 und hat das Ziel, Menschenrechtsverteidigerinnen mit einem ganzheitlichen Ansatz zu verteidigen, wenn sie verfolgt werden. Mehr unter: https://im-defensoras.org.
  12. Das Allgemeine Periodische Überprüfungsverfahren (englisch: Universal Periodic Review, UPR ) ist ein seit 2007 eingeführtes Instrument des UN-Menschenrechtsrats, in dem alle 193 UN-Mitgliedsstaaten auf ihre Menschenrechtssituation hin überprüft werden und auch Nichtregierungsorganisationen mit Berichten beitragen können, https://www.frontlinedefenders.org/sites/default/files/fld_upr34_el_salvador_es.pdf

Video

Sonia Sánchez war im März 2021 Gast unserer Online-Veranstaltung „Aus Recht wird Unrecht“ mit dem Runden Tisch Zentralamerika zur Veröffentlichung des Dossiers „Kriminalisierung von Menschenrechtsverteidiger*innen in Zentralamerika“.

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Menschenrechtsverteidiger*innen werden weltweit bedroht und verfolgt, stigmatisiert und diffamiert, zu Unrecht angezeigt, verhaftet, verletzt oder gar ermordet. Einige verschwinden spurlos. Auch in Zentralamerika zeigt sich dieses Phänomen immer häufiger. Das 60-seitige Dossier soll dieses Unrecht sichtbarer machen und dazu beitragen, die Kriminalisierung von Menschenrechtsverteidiger*innen zu beenden.

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