Kirsten Clodius, CIR
Dieser Fall ist eine von neun Fallbeschreibungen aus unserem Dossier: Kriminalisierung von Menschenrechtsverteidiger*innen in Zentralamerika. Im Fall von Carlos Ernesto Choc Chub wird seine journalistische Arbeit als Straftat ausgelegt, obwohl die Dokumentation von aktuellen Geschehnissen und die Verbreitung von Informationen in der Bevölkerung zum Auftrag von Journalist*innen gehört.
Carlos Ernesto Choc Chub (kurz Carlos Choc), 37 Jahre alt und Familienvater, ist Journalist aus El Estor, einer Gemeinde am nordwestlichen Ufer des Izabal-Sees in Guatemala. Dort begann er 2016 für die Prensa Comunitaria zu arbeiten, eine investigative, multidisziplinäre Nachrichtenagentur, die in Wort, Ton und Bild über die und aus den indigenen Gemeinden in Guatemala berichtet. Die meisten Medienschaffenden der Prensa Comunitaria stammen selbst aus indigenen Gemeinschaften: Carlos Choc gehört der indigenen Bevölkerungsgruppe der Maya Q´eqchi‘ an.
Seine Arbeit wurde ihm 2017 zum Verhängnis, als er zusammen mit einem Kollegen an einem Rechercheprojekt1 über Umweltzerstörung und indigenen Widerstand arbeitete. In El Estor gibt es eine Nickelmine, die seit vielen Jahren immer wieder für heftige Konflikte zwischen Bergbauunternehmen und der lokalen Bevölkerung sorgt, der durch die Zerstörung der natürlichen Ressourcen kontinuierlich ihre Lebensgrundlage entzogen wird. Früher war das Gebiet der heutigen Mine dicht bewachsen, inzwischen sind die Hügel vollständig entwaldet und abgetragen.
2011 hat das Schweizer Unternehmen mit russischem Kapital Solway Investment Group die Konzession des Fénix-Projekts gekauft2. 2013 wurde die heutige Compañia Guatemalteca de Niquel de Izabal S.A. (Pronico) gegründet3. Als im März 2017 ein mysteriöser roter Fleck das Wasser im See verfärbte, wendeten sich die Fischer*innen von El Estor an das Umweltministerium in Izabal, um Anzeige gegen den Bergbaukonzern Pronico zu erstatten. Sie befürchteten, dass der Izabal-See durch Chemikalien verseucht werde und die Gesundheit der Bevölkerung in Gefahr sei4.
Weil ihr Anliegen bei den zuständigen Behörden und auch beim Bürgermeister kaum Gehör fand, blockierten die Fischer*innen die Hauptzufahrtsstraße nach El Estor und behinderten dabei bewusst die Arbeiten in der Fénix-Mine, um die Untersuchung der Ursachen der Verschmutzung zu erwirken und den Nickelabbau zu stoppen. Ihre Sorge war groß, denn sie und ihre Familien lebten von den Fischen im See, die durch die Wasserverschmutzung zu sterben drohten5.
Carlos Choc berichtete von Beginn an über die Geschehnisse und wurde unfreiwillig zu einem wichtigen Zeugen, als es am 27. März 2017 statt zu einem Dialog6 zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Fischer*innen und der Polizei kam. Eigentlich hatten die Fischer*innen an einem Treffen mit dem Umweltministerium und dem Unternehmen teilnehmen wollen. Erst unmittelbar vor dem Termin wurde der Veranstaltungsort in Río Dulce, das über 50 Kilometer von El Estor entfernt ist, bekannt gegeben, sodass die Fischer*innen keine Chance hatten teilzunehmen.
Aus ihrer Empörung heraus entstand ein spontaner Protest, während in Río Dulce ein Dialogtreffen zwischen Regierung, Unternehmen, Polizei und der Ombudsstelle für Menschenrechte stattfand. Bei dem Protest wurde der 27-jährige Carlos Maaz von einem Polizisten erschossen. In Deckung am Boden liegend fotografierte und filmte Carlos Choc die entscheidenden Momente mit seinem Handy7. Die Behörden stellten keinerlei Untersuchungen über die Ereignisse an. Den Tod des Fischers bestätigten sie nie, sondern versuchten ihn gänzlich zu vertuschen. Den Fischer*innen wurde zudem vorgeworfen, keine Dialogbereitschaft gezeigt zu haben8. Die Beweisfotos des Journalisten ignorierten die Verantwortlichen. Allerdings waren schnell andere Schritte geplant, um den unliebsamen Widerstand zu brechen. Erneut war ein Höhepunkt des jahrelangen Konflikts zwischen Bergbauunternehmen und lokaler Bevölkerung erreicht9.
Im August 2017 wurde Haftbefehl gegen die Journalisten Carlos Choc und Jerson Xitumul erlassen, nachdem das Unternehmen CGN-Pronico sie angezeigt hatte. Die Angeklagten wurden unter anderem der Freiheitsberaubung, der Anstiftung zu einer Straftat, Zugehörigkeit zu einer illegalen Vereinigung sowie der Teilnahme an illegalen Zusammenkünften und Demonstrationen beschuldigt. Weil Carlos Choc sich keiner dieser Straftaten schuldig fühlte und sich zudem zum Zeitpunkt der angeblichen Straftat nicht einmal in der Nähe des Geschehens befand, nahm er die Gefahr festgenommen zu werden zunächst nicht ernst und ging seiner Arbeit weiter nach. Er besuchte Veranstaltungen zur Berichterstattung in benachbarten Orten und bewegte sich frei. Dann wurde sein Agentur-Kollege Xitumul festgenommen und kam Ende 2017 für 38 Tage in Untersuchungshaft.
Die Situation spitzte sich für Choc stark zu, als Unbekannte mehrfach sein Haus aufsuchten und ihn dabei mit Schüssen bedrohten. Von da an wurde er verfolgt und musste versteckt leben. „Es war furchtbar, denn ich musste in ein anderes Haus ziehen. Ich hatte zudem kein Geld, weil ich keine Einkünfte mehr hatte und es ja einen Haftbefehl gegen mich gab. Ich wurde sogar von Autos verfolgt, manchmal von denen des Unternehmens, auf die ich früher nie besonders geachtet hatte, weil mir klar war, niemandem etwas angetan zu haben.“10
Chocs Kollege Xitumul wurde derweil gegen Kaution in den Hausarrest entlassen und im Juli 2018 wurden die Anschuldigungen vor Gericht gegen ihn fallen gelassen und der Fall geschlossen11. Seine journalistische Arbeit stellte Xitumul für immer ein. Gegen Carlos Choc und sieben weitere Fischer*innen und Händler*innen blieb der Prozess mit starken Verzögerungen anhängig. Im Januar 2019 erreichte Choc nach mehrfach verschobenen Terminen endlich in einer ersten Anhörung vor dem Haftrichter Ersatzmaßnahmen in Form von Überwachung anstelle der drohenden Untersuchungshaft. Fortan muss er sich monatlich bei der Staatsanwaltschaft melden und eine Unterschrift leisten.
Die Staatsanwaltschaft hat ihre Untersuchungen inzwischen abgeschlossen und es liegen keine für eine Verurteilung ausreichenden Beweise gegen Choc vor. Seit Prozessbeginn wurden mit einer offensichtlich bewussten Verzögerungstaktik die Verhandlungstermine ein ums andere Mal verschoben12. Eine schließlich für Januar 2020 angesetzte Gerichtsverhandlung wurde ausgesetzt, weil der Anwalt von Carlos Choc und den anderen Angeklagten einen Befangenheitsantrag gegen den Richter stellte, über den das zuständige Gericht13 noch nicht entschieden hat.
Am 19. Juni 2020 hatte das Verfassungsgericht ein Urteil14 zu einer Klage der indigenen Gemeinden und der Fischer*innen aus El Estor gegen das Energie- und Bergbauministerium gefällt, weil dieses dem guatemaltekischen Nickelunternehmen CGN eine Abbaugenehmigung für die Fénix Mine erteilt hatte, obwohl nur teilweise eine Umweltverträglichkeitsstudie vorlag und vor der Inbetriebnahme keine Konsultation der Bevölkerung entsprechend der ILO-Konvention 169 durchgeführt worden war. Das guatemaltekische Verfassungsgericht ordnete die Einstellung aller Bergbautätigkeiten der Solway Investment Group/CGN in El Estor an.
Aufgrund dieser Resolution wurde nun wiederum eine gerichtliche Untersuchung gegen vier Richter*innen des Verfassungsgerichtes vorgelegt, die das Urteil unterschrieben hatten. Jetzt ist ein Rechtsstreit entfacht, um die Kriminalisierung der Richter*innen zu verhindern, die die Prinzipien der Verfassung verteidigten. Die Interamerikanische Menschenrechtskommission äußerte sich besorgt über das Geschehen und den Versuch, den Richter*innen die Immunität zu entziehen15.
Seit der Resolution gegen Solway wurde Carlos Choc erneut stark bedroht. Im Juli 2020 waren außerdem erneut Unbekannte in Chocs Unterkunft eingedrungen und hatten ihm wie bereits in früheren Jahren seine journalistische Ausrüstung und sein Mobiltelefon entwendet. Er entschied, sich schließlich in Sicherheit zu bringen und hält sich seitdem in einem anderen Department versteckt.
Eine erfolgreiche Strategie zur Abwendung einer Verurteilung der Angeklagten und zur Beendigung ihrer Strafverfolgung könnte nach Einschätzung des Rechtsbeistands durch das guatemaltekische Menschenrechtszentrum CALDH16 nun sein, eine Gegenanklage zu erheben: Zum einen gegen die Staatsanwaltschaft aufgrund falscher Anschuldigungen und zum anderen in Form einer Zivilklage gegen die Zeug*innen des klagenden Unternehmens wegen falscher Aussagen. Dafür bedürfe es allerdings einer intensiven Koordination mit anderen Organisationen und Anwaltskanzleien, die bereits erfolgreich Menschenrechtsverteidiger*innen in Strafprozessen begleitet haben, so die Einschätzung von CALDH. Für die Erhebung einer solchen Gegenklage und einer strategischen Prozessführung bräuchte es außerdem breite internationale Unterstützung, um größtmögliche Aufmerksamkeit zu erzielen und Druck aufzubauen sowie durch die geschaffene Öffentlichkeit einen gewissen Schutz für die vor Ort daran beteiligten Personen zu erzielen.
Die Umweltschützerin Sonia Sánchez klagte gegen ein Wohnbauprojekt, das ohne gültige Genehmigung von einem der größten Unternehmen El Salvadors in einem Naturgebiet in die Wege geleitet wurde. Ein ungleicher Kampf, in dem sie mehrfach kriminalisiert wurde, am Ende aber Recht bekam.
Sauberes Wasser für tausende Familien: In einem selbstorganisierten Gemeinschaftsprojekt haben die Menschen im salvadorianischen Tacuba erreicht, woran die Regierung vielerorts scheitert. Doch ein Bürgermeister reißt das Projekt an sich und die Initiator*innen werden seit Jahren strafverfolgt. Mithilfe öffentlicher Aufmerksamkeit schaffen sie es, sich zu wehren.
Mit diesen Partnerorganisationen arbeiten wir im Regionalprogramm für Menschenrechts-verteidiger*innen zusammen:
Ich bin für Ihre Fragen da:
Kirsten Clodius
Referentin für Honduras, Nicaragua
clodius @ci-romero.de
Telefon: 0251 - 674413-18
Mit diesen Organisationen arbeiten wir zur Stärkung von Menschenrechtsverteidiger*innen
Dies ist ein konkretes Beispiel, was Ihre Spende unter dem Spendenzweck „Demokratie & Recht“ bewirken kann.
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