2. August 2023
Krisenstimmung in Guatemala: Nachdem es der linke Kandidat Bernardo Arévalo in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen Ende Juni überraschend in die Stichwahl geschafft hat, gab es diverse Versuche vonseiten der politischen Elite, das Wahlergebnis zu delegitimieren und den weiteren Wahlausgang zu beeinflussen. Wir haben darüber mit Juan Castro, Projektkoordinator bei unserer Partnerorganisation “Bufete para Pueblos Indigenas”, gesprochen: Welche Herausforderungen sieht er in der verbleibenden Zeit bis zur Stichwahl auf Guatemala zukommen? Welche positiven und negativen Entwicklungen sind möglich – und wie setzen er und sein Team sich für einen fairen und transparenten Wahlprozess ein?
Juan Castro von Bufete para Pueblos Indigenas – eine Kanzlei von Rechtsanwält*innen mit Wurzeln in der Maya-Kultur, die sich in Guatemala für die Verteidigung der Menschenrechte und insbesondere der Rechte der indigenen Bevölkerung einsetzen. Die CIR arbeitet mit der Organisation im Projekt “Der Straflosigkeit ein Ende setzen” zusammen.
Dass Bernardo Arévalo die Stichwahl um das Präsidentschaftsamt am 20. August erreicht hat, kam für viele Beobachter*innen überraschend, weil er laut Prognosen weit hinten lag. Was war Ihre Reaktion auf dieses Ergebnis?
Niemand hatte erwartet, dass die Jugend und die Wähler*innen in den Städten für einen Kandidaten stimmen würden, der in den Umfragen keine große Rolle spielte. Dennoch war das für uns Grund für ein wenig Hoffnung, weil Bernardo Arévalo sehr gute Absichten zu haben scheint. Und sein Team könnte einige Räume zurückerobern, die derzeit von sehr korrupten Menschen besetzt sind. Allerdings glauben wir nicht, dass er tiefgreifende Veränderungen bewirken oder sich hauptsächlich um die Anliegen der indigenen Bevölkerung in Bezug auf die systematische Enteignung ihrer Länder kümmern wird. Seine Regierung könnte sehr fragil und einem hohen Putschrisiko ausgesetzt sein. Daher haben wir zwar Hoffnung, aber wir halten auch ein gewisses Maß an Vorsicht für angebracht.
Wie erklären Sie sich, dass die Prognosen vor den Wahlen Arévalo so schlechte Chancen bescheinigt haben?
In Guatemala haben Umfragen immer eine Rolle bei der Beeinflussung und Manipulation der Wähler*innen gespielt. Die Öffnung der sozialen Medien, insbesondere TikTok, ermöglichte einen Dialog mit der Jugend. Die hat ihren Unmut landesweit und in den Städten zum Ausdruck gebracht, Korruption und die Einflussnahme des Staates kritisiert. Diese Form von Meinungsäußerung in den sozialen Medien und in alternativen Medien könnte die Wahrnehmung der traditionellen Umfragen beeinflusst haben. Es ist möglich, dass die Nichtberücksichtigung dieser neuen Formen von Ausdrucksmöglichkeiten dazu beigetragen hat, dass die Prognosen so fehlerhaft waren und die Chancen des Kandidaten unterschätzt wurden.
Als klar war, dass neben Sandra Torres von der Partei UNE auch Bernardo Arévalo die Stichwahl erreicht hat, kam es sofort zu Delegitimierungsversuchen: Die Wahlbehörde verweigerte die Anerkennung des ersten Wahlergebnisses, zwischenzeitlich stand eine Neuauszählung zur Debatte. Es gab einen Anlauf, die Partei Movimiento Semilla zu suspendieren, und Razzien in der Parteizentrale. Wie bewerten Sie diese aktuellen Entwicklungen?
Das bereitet uns Sorge und könnte eine ernsthafte Gefahr für die demokratischen Prozesse in unserem Land darstellen. Schon seit Beginn des Wahlkampfes haben wir unsere rechtliche Einschätzung dazu geäußert und Parteien unterstützt, die daran gehindert wurden, überhaupt an der Wahl teilzunehmen. Wie etwa im Fall des Movimiento de Liberación de los Pueblos, deren Kandidat*innen Thelma Cabrera und Jordan Rodas waren, die im Vorfeld von den Wahlen ausgeschlossen wurden. Ebenso haben wir den Abgeordneten Aldo Dávila unterstützt, der aufgrund seines kämpferischen Vorgehens gegen die aktuelle Regierung ausgeschlossen wurde. Niemand hätte gedacht, dass Bernardo Arévalo vom Movimiento Semilla eine Bedrohung darstellen würde, aber als bekannt wurde, dass er es in die zweite Runde geschafft hat, wurde sofort ein Plan geschmiedet, um seine Teilnahme zu verhindern. Wir sind stets wachsam, um den Rechtsstaat und die fragilen staatlichen Institutionen zu schützen.
In Guatemala herrscht der sogenannte “Pakt der Korrupten”, eine Clique von Mächtigen aus Politik, Wirtschaft und Militär, die auch die Justiz immer weiter unter ihre Kontrolle bringt. Wie weit wird dieser Machtzirkel gehen, um sicherzustellen, dass sich die politische Situation, die ihnen große Vorteile ermöglicht, nicht ändert?
Nach Expert*innenmeinung gehen in Guatemala etwa 20 Prozent des nationalen Budgets, das sind rund 20 Milliarden Quetzales, durch Bestechung und Korruption verloren. Es besteht eine Allianz zwischen dem Drogenhandel und der Regierung, und eine politische Klasse hat die Kontrolle über viele staatliche Institutionen. Durch einen Regierungswechsel könnten sie immens viel verlieren. Deshalb werden sie alles tun, um zu verhindern, dass Bernardo Arévalo an die Macht kommt. Tatsächlich haben sie bereits versucht, der Partei Semilla durch das Gesetz gegen organisierte Kriminalität die rechtliche Grundlage zu entziehen. Sie sind bereit, das Unmögliche zu tun, um Veränderungen im Land zu verhindern. Der Pakt der Korrupten wird wahrscheinlich keine Mühen scheuen, um sicherzustellen, dass sich die politische Situation nicht ändert und eigene Interessen geschützt bleiben.
Juan Castro von Bufete para Pueblos Indigenas – eine Kanzlei von Rechtsanwält*innen mit Wurzeln in der Maya-Kultur, die sich in Guatemala für die Verteidigung der Menschenrechte und insbesondere der Rechte der indigenen Bevölkerung einsetzen. Die CIR arbeitet mit der Organisation im Projekt “Der Straflosigkeit ein Ende setzen” zusammen.
Was wäre aus Ihrer Sicht die bestmögliche und die negativste Entwicklung bis zur Stichwahl der Wahlen in Guatemala?
Die bestmögliche Entwicklung wäre ein fairer, transparenter und respektvoller Wahlprozess, der den Willen der Bevölkerung respektiert. Es wäre ideal, wenn der Wahlkampf sich auf Lösungen und Vorschläge für die Probleme des Landes konzentrieren würde, ohne auf Verleumdung oder Manipulation von Informationen zurückzugreifen. Ein positives Ergebnis wäre die Wahl einer Regierung, die sich für die Achtung der Menschenrechte, den Kampf gegen Korruption und den Schutz der indigenen Territorien einsetzt.
Auf der anderen Seite wäre die negativste Entwicklung eine Stichwahl, die von Gewalt, Einschüchterung und Manipulation der Ergebnisse geprägt ist. Es wäre besorgniserregend, wenn der Wahlkampf von Fehlinformationen und Angstmacherei dominiert wird. Ein ungünstiges Ergebnis wäre die Wahl einer Regierung, die Korruption, Menschenrechtsverletzungen und die Missachtung der Rechte indigener Völker fortsetzt.
Und können Sie als Organisation zu einer bestmöglichen Entwicklung beitragen?
Als Bufete para Pueblos Indígenas können wir zu einer bestmöglichen Entwicklung beitragen, indem wir juristische Beratung anbieten, soziale Bewegungen und indigene Gemeinschaften unterstützen und uns für die Verteidigung der Menschenrechte und der Rechte der indigenen Bevölkerung einsetzen. Wir arbeiten daran, den Rechtsstaat und die Institutionen des Landes zu stärken und sicherzustellen, dass die Wahlprozesse fair und transparent ablaufen. Unsere Arbeit umfasst auch die Verteidigung von Personen, die während dieses Wahlprozesses möglicherweise politische Repressalien oder Verfolgungen erleiden könnten.
Neben Bernardo Arévalo von der links-sozialdemokratischen Partei Movimiento Semilla hat auch Sandra Torres von der Partei UNE die Stichwahl erreicht. UNE wird zum herrschenden “Pakt der Korrupten” gezählt. Die Einmischung der Staatsanwaltschaft in die Wahlen hat internationale Kritik hervorgerufen und in Guatemala Proteste ausgelöst. Die Stichwahl findet am 20. August statt.
Ich bin für Ihre Fragen da:
Dr. Andréa Moraes Barros
Projektkoordinatorin Multiakteurs-Partnerschaft Orangensaft, Brasilien
moraesbarros @ci-romero.de
Telefon: 0251 – 674413-23
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