Das laut offiziellen Bekundungen ungewollt veröffentlichte Papier mit dem sperrigen Titel „Gesetz zur Regelung menschenrechtlicher und umweltbezogener Sorgfaltspflichten in globalen Wertschöpfungsketten (Sorgfaltspflichtengesetz)“ ist seit Februar öffentlich einsehbar. Der Gesetzesentwurf verpflichtet alle Großunternehmen mit Sitz in Deutschland dazu, für die Einhaltung von Menschenrechten und für den Schutz der Umwelt in ihren Lieferketten Sorge zu tragen. Auch dann, wenn die Verstöße von ihren formell eigenständigen Lieferanten in den Produktionsländern begangen werden. Mit einem solchen Gesetz würde eine zentrale Forderung der CIR, für die wir gemeinsam mit unseren Partner*innen in Mittelamerika seit über 25 Jahren eintreten, endlich Wirklichkeit. Die Verabschiedung des Gesetzes könnte einen Paradigmenwechsel in der Berliner Politik einläuten: Die Einhaltung von Menschen- und Umweltrechten bei der Herstellung unserer Konsumgüter wäre nicht mehr freiwillig, sondern verbindlich. Zu den im BMZ-Entwurf genannten verpflichtenden Maßnahmen für Unternehmen gehört eine Abschätzung der menschen- und umweltrechtlichen Risiken in der Lieferkette, sowie eine Reduktion derselben, die Einrichtung einer Beschwerdestelle für die Arbeiter*innen und Anwohner*innen sowie die Ernennung eines Beauftragten für Menschenrechte. Außerdem müssen die Unternehmen im Falle von Rechtsverstößen eine Entschädigung und Wieder gutmachung der Betroffenen vornehmen. Den Verantwortlichen in den Unternehmen, die diesen Verpflichtungen nicht nachkommen, droht, je nach Schwere und Art des Verstoßes, ein Ordnungswidrigkeits-Verfahren, ein Strafverfahren mit Freiheits- und Geldstrafen und/oder zivilrechtliche Konsequenzen.
Dass die Regelungen „Unsinn“ seien, wie ArbeitgeberPräsident Ingo Kramer Anfang April der „Rheinischen Post“ mitteilte, weil „die Unternehmen für etwas haften, das sie persönlich in unserer globalisierten Welt gar nicht beeinflussen können“ , entspricht nicht der Realität: Sicherheit und Qualität der Produkte, exakte Lieferzeiten, Ausfall- und Entschädigungsklauseln – für all das können Unternehmen überall auf der Welt Sorge tragen. Für Menschenrechte nicht? Sicher ist, das Gesetz verlangt nichts Unmögliches, sondern schließt lediglich die durch die globalisierte Produktion entstandenen rechtlichen Lücken. Unternehmen würden auch nicht pauschal für jede Menschenrechtsverletzung haften, die in Zulieferbetrieben passiert. Sie haften dann, wenn sie nachweislich fahrlässig oder bewusst ihre Sorgfalt missachtet haben. Der fortwährende Versuch der Industrie, die Verantwortung für die Einhaltung von Menschen- und Arbeitsrechten an „die Produktionsländer“ abzuschieben, ignoriert die tatsächlichen Machtverhältnisse und die begrenzten Möglichkeiten und Spielräume finanzschwacher Staaten: Wesentlicher Grund für die Produktion dort sind ja genau die dortigen schlechten Arbeitsbedingungen und niedrigen Umweltstandards.
Solange diejenigen Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil haben, die so billig wie möglich produzieren, wird jede Form der freiwilligen Unternehmensverantwortung in dem Moment zur Makulatur, in dem es ums Geld geht. Bemerkt sei außerdem, dass ein Lieferkettengesetz weder aus dem Nichts kommt, noch den Unternehmen etwas aufbürdet, was international zu Benachteiligungen führt. Der Gesetzesentwurf konkretisiert lediglich das, was die Vereinten Nationen schon 2011 in ihren UN Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte formuliert und den einzelnen Nationalstaaten zur rechtlichen Konkretisierung und angemessenen Umsetzung aufgetragen haben. Doch anders als Frankreich und England blieb die deutsche Regierung bei ihrem wirtschaftsfreundlichen „Alles kann, Nichts muss“-Kurs. Sie verabschiedete anstatt eines Gesetzes 2016 den Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP). In diesem fordert die Bundesregierung alle Unternehmen auf, sich zu Menschenrechten zu bekennen und freiwillig Maßnahmen zum Schutz derselben in die Wege zu leiten. Eine Befragung von 500 Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiter*innen sollte bis 2020 klären, ob die im NAP benannten Maßnahmen von mind. 50 % der Unternehmen umgesetzt werden. Eine lasche Politik, die der jetzigen Bundesregierung sogar bereits eine Rüge des UN- Sozialausschusses bescherte. Wohl selbst nicht ganz von ihrem Konzept überzeugt, schrieben sich SPD und CDU 2018 daher in den Koalitionsvertrag, dass die Parteien „national gesetzlich tätig“ werden, sollte die Befragung ergeben, dass die freiwilligen Maßnahmen nicht ausreichen.
Doch zurück zu Müllers undichter Stelle: Warum kommt ein derart weitgehender Gesetzesentwurf ausgerechnet aus einem CSU Ministerium? Und warum jetzt? War die Veröffentlichung wirklich ein Versehen? Die Vermutung liegt nahe, dass das BMZ mit seinem Textilbündnis die Grenzen der (Frei) Willigkeit zur Genüge erfahren hat und sich daher bereits frühzeitig an einen Gesetzesentwurf setzte. Minister Müller wäre damit einer der wenigen Vertreter seiner Fraktion, die ein ehrliches Interesse daran zeigen, die Ausbeutung von Mensch und Natur im globalen Süden endlich einzudämmen. Oder aber das Leak war als Warnschuss an die Unternehmen lanciert, um sie zu motivieren, dem freiwilligen NAP nachzukommen, und damit letztlich gesetzliche Verpflichtungen zu vermeiden.
Minister Müller ist allein nicht in der Position, ein solches Gesetz auf den Weg zu bringen.
Auch die SPD ist gefragt. Vor allem Arbeitsminister Hubertus Heil sollte sich das Gesetz zu Eigen machen. Er hat auf einer Konferenz kurz nach der Veröffentlichung des Entwurfes zurückhaltende Zustimmung geäußert. Konsens in den meisten Regierungskreisen ist derzeit jedoch, dass das NAP Monitoring, sprich die Befragung der Unternehmen, abgewartet werden soll: Es soll nur dann ein Gesetz auf den Weg gebracht werden, wenn weniger als 50% der Unternehmen mit über 500 Mitarbeiter*innen der Selbstverpflichtung im NAP nachgekommen sind.
Eben diese Befragung wird gerade vom Auswärtigen Amt entwickelt. Kanzleramt und Wirtschaftsministerium versuchen nach Kräften, sie zu verwässern. Die Einflussnahme geht so weit, dass sogar das mit der Umfrage beauftragte Consultingunternehmen Ernst&Young Bedenken an der Validität einer solchen Befragung äußerte und sich vorbehält, noch abzuspringen.
Wie auch immer der Befragungs-Krimi ausgeht: Wir als CIR fordern mit Nachdruck, dass es unabhängig vom Ergebnis der NAP-Befragung ein Gesetz geben muss! Menschenrechte sind unteilbar und die immer wieder bemühte „Freiwilligkeit“ hat längst ausgedient. 50% sind 50% zu wenig, so oder so. Ein Gesetz für alle ist das Mindeste.
In der Schweiz existiert ein Gesetzesvorschlag zur Konzernverantwortung, der bereits vom Ständerat beraten wurde. In Finnland fordert eine breit angelegte Kampagne seit Ende 2018 ein Gesetz zu menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten. In Deutschland wurde 2016 der NAP verabschiedet, der zwar deutliche Erwartungen an die Wirtschaft formuliert und einen Implementierungsprozess anstösst, jedoch nur auf freiwilligen Selbstverpflichtungen der Unternehmen beruht. Mit dem GesetzesLeak aus dem BMZ wird 2019 deutlich, dass sich auch die deutsche Regierung ernsthaft mit der Option eines Gesetzes auseinandersetzt.
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