Lebensmittel

Warum der Ukraine-Krieg die Welternährung bedroht

Der Ukraine-Krieg bringt auch den Agrar-Weltmarkt ins Wanken und gefährdet dabei die weltweite Ernährungssicherheit. Lebensmittel wie Weizen, Soja oder Sonnenblumenöl drohen knapp zu werden, mit verheerenden Folgen.

Der Angriff von Russland auf die Ukraine zerstört das Leben von Millionen Menschen und trifft die Zivilbevölkerung am härtesten. Krieg ist immer eine humanitäre Katastrophe, die für Millionen Menschen körperliches und seelisches Leid mit sich bringt. Darüber hinaus zieht jeder Krieg aber auch weitreichende globale Folgen nach sich.

Bereits jetzt zeichnen sich verheerende Folgen für die globale Lebensmittelversorgung ab, da sowohl die Ukraine wie auch Russland eine wichtige Rolle im Welternährungssystem spielen. So wird die Ukraine gemeinhin auch als „Kornkammer Europas“ bezeichnet. Der Beginn des Krieges fällt zusammen mit dem, was Ökonom*innen eine „angespannte Marktlage“ und Menschenrechtler*innen „die Rückkehr des Hungers“ nennen: Die Ernährung einer steigenden Zahl von Menschen war bereits in den letzten Jahren immer unsicherer geworden, der Krieg wird die Lage verschlimmern.

Das gilt auch für die Ernährungssicherheit in Europa, weiß CIR-Referent für Agrarlieferketten Dominik Groß: „Vieles wird teurer werden. Das wird diejenigen schwer treffen, die schon heute jeden Groschen umdrehen müssen. Selbstverständlich dürfen die Preissteigerungen hierzulande nicht mit drohenden Hungersnöten in anderen Teilen der Welt gleichgesetzt werden. Fakt ist jedoch: Auch in unseren Supermärkten zeigen sich bereits jetzt Vorboten der kommenden Verwerfungen in den Nahrungsmittel-Lieferketten. Und: Sie haben das Potential, die deutsche und europäische Agrarpolitik in ungeahntem Ausmaß auf den Kopf zu stellen.“

Auswirkungen auf globale Nahrungsmittellieferketten

Wenn Weizen, Soja und Sonnenblumenöl aus der Ukraine und Russland knapp werden.

Weizen

Das wichtigste Brotgetreide der Welt fehlt.

Fast 30% des Weizens auf dem Weltmarkt stammt aus der Ukraine oder aus Russland. Die Aussaat des Sommergetreides wird in der Ukraine aller Wahrscheinlichkeit nach nicht möglich sein. Diejenigen, die sonst auf den Betrieben arbeiten, kämpfen oder sind geflohen. Doch das ist nicht alles: Der für Landmaschinen benötigte Diesel wird knapp – mit ihm werden Panzer oder LKW befüllt. Zudem wurden Dieseldepots bei Angriffen zerstört. Hinzu kommt, dass das ABC der industrialisierten Landwirtschaft nicht verfügbar ist: Saatgut, Dünger und Pestizide fehlen vielerorts. In Russland wiederum verhindern die Sanktionen, dass Pestizide oder technisches Gerät importiert werden können.

Was hat es für Konsequenzen, wenn fast ein Drittel des wichtigsten Brotgetreides der Welt nicht verfügbar sein wird? Viele Menschen in Ländern des Globalen Südens oder Schwellenländern werden sich den Kauf von Weizenprodukten nicht mehr leisten können – oder es wird einfach keine geben, die gekauft werden könnten. Die Türkei, Tunesien oder Ägypten – sie alle sind auf diese Weizenimporte angewiesen. Schlimmer noch: Mehr als die Hälfte der Nahrungsmittel, die das „World Food Programme“ (WFP) in Krisenregionen verteilt, stammt laut eigenen Aussagen aus der Ukraine. „Die Welt kann sich einfach keinen weiteren Konflikt leisten“, so bringt es der Leiter des WFP, Martin Frick, im Handelsblatt auf den Punkt. Entwicklungsministerin Svenja Schulze hat am Rande des EU-Entwicklungsministertreffens am Montag darauf aufmerksam gemacht, dass der Krieg in der Ukraine für Millionen Menschen in Afrika eine Hungernot bedeuten könnte.

Soja

Der europäische Sojamarkt bricht zusammen – ein Geschenk für Bolsonaro?

Soja, das nicht von Amerika nach Europa eingeschifft wird, stammt zu großen Teilen aus der Ukraine oder Russland. Für Bio-Betriebe spielt nicht-gentechnisch-verändertes Soja („GMO-frei“) aus der Ukraine eine entscheidende Rolle. In den nächsten Wochen müsste die Aussaat der Proteinbohnen, die vor allem geschrotet im Futtertrog für Schweine und Rinder landen, stattfinden. Doch auch diese Saat wird aufgrund des Krieges wohl nicht gesät werden können. Selbst die Restbestände in den Silos der ukrainischen Hafenstädte können seit Kriegsbeginn nicht verschifft werden. Es ist vorprogrammiert, dass europäisches Soja zu Mangelware wird. Für einen Ausgleich müsste der Soja-Gigant Brasilien sorgen. Das Land ist berüchtigt für Regenwaldzerstörung und Landraub in Zusammenhang mit der Produktion von Soja. Dort zeichnet sich zudem noch ein weiteres Problem ab: Der Anbau von Soja in Monokulturen verschlingt eine enorme Menge an Kunstdünger. Diesen bezieht Brasilien eigentlich aus Russland. Der Import ist allerdings wegen der Sanktionen nicht möglich. Das führt zum Fall des nächsten Dominosteins: Die Regierung von Jair Bolsonaro hat die Dünger-Frage zu einer Angelegenheit von ‚Nationaler Sicherheit‘ erklärt. Die Düngemittelproduktion im eigenen Land soll demnach schnell und ohne Rücksicht auf Natur und Mensch angekurbelt werden. Für den Abbau der notwendigen Rohstoffe sind sogar indigene Gebiete im Amazonas im Gespräch.
Für europäische Bäuerinnen und Bauern bedeutet der Soja- und Weizenmangel, dass es schwer für sie wird, kostendeckend zu wirtschaften, da die Produkte teurer werden. Ein Problem vor allem für kleinere Betriebe.

Sonnenblumenöl

Wenn Sonnenblumen nicht wachsen, expandiert die Ölpalmen-Plantage.

Unten im Bild gold-gelbe Sonnenblumen, oben der blaue Himmel. Zusammen bildet die Landschaft die Farben der ukrainischen Nationalflagge nach. Das Land produziert die Hälfte(!) des Sonnenblumenöls auf dem gesamten Weltmarkt. Russland dazu gerechnet, sind es nahezu 70%. Zwar liegen Sonnenblumen als Öllieferant weltweit nur auf Platz vier, doch in Europa ist der Anteil höher. Folgen werden auch hier steigende Preise sein, von denen alle Pflanzenöle betroffen sind. Außerdem kann es zu Engpässen im Supermarkt kommen. Angesichts der dramatischen, lebensbedrohlichen Situation aufgrund des fehlenden Weizens, mag das wie eine Randnotiz erscheinen. Doch die globalen Märkte suchen Ersatz: Und finden sie besonders in den umweltzerstörerischen Produkten Soja- und Palmöl, deren Anbau einen weiteren Boom erfahren könnte. Insbesondere für Mittelamerika eine bedrohliche Situation, denn die Auswirkungen für Menschen und Umwelt sind bereits jetzt katastrophal, wie unsere Multimedia-Reportage zum Palmölboom in Guatemala zeigt.

Ansprechpartner_Dominik_Gross

Ich bin für Ihre Fragen da:

Dominik Groß
Referent für Menschenrechte und Klimaschutz in Agrarlieferketten
grossnoSpam@ci-romero.de
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