11. Juni 2020
Der Handelsverband Deutschland hält ein Lieferkettengesetz in der Corona-Pandemie nicht mehr für zumutbar. Es ist aber besonders in der Krise nötig, dass Unternehmen Menschenrechte und Umweltstandards einhalten. Die Initiative Lieferkettengesetz hält deshalb an ihrer Forderung an die Bundesregierung fest, noch in dieser Legislaturperiode einen gesetzlichen Rahmen zu verabschieden. Unterstützen Sie uns jetzt, indem Sie unsere Petition unterzeichnen!
Die Initiative Lieferkettengesetz hatte 2019 einen guten Start. Ende des Jahres sprachen sich CDU und SPD auf ihren Parteitagen für ein Lieferkettengesetz aus. Wenige Wochen später kündigten Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) an, Eckpunkte für einen gesetzlichen Rahmen für menschenrechtliche Sorgfaltspflichten von Unternehmen zu erarbeiten. Das zivilgesellschaftliche Bündnis mit seinen zahlreichen lokalen Gruppen, die vor Ort immer wieder Aktionen durchführen, kann diese Ankündigung als ihren Erfolg verbuchen.
Mitte März berichtete aber das Redaktionsnetzwerk Deutschland, dass das Kanzleramt und das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) die Veröffentlichung der Eckpunkte verhindert hätten. Die Intervention einiger Minister, allen voran Peter Altmaier, fiel mit dem Zeitpunkt zusammen, in dem die Corona-Krise zunehmend das politische Geschehen bestimmte. Die großen Wirtschaftsverbände wie BDA, BDI oder textil+mode wehren sich seit Monaten gegen die gesetzliche Regulierung ihrer Verantwortung. Jetzt schrecken manche Sprecher*innen wie Stefan Genth vom Handelsverband Deutschland nicht davor zurück, die Pandemie zu instrumentalisieren. „Im Moment geht es darum“, so Genth, „das Überleben vieler mittelständischer Unternehmen zu sichern, aber auch von großen Kauf-, Textil- und Warenhäusern.“ Es sei jetzt eine absolute Unzeit, über ein Lieferkettengesetz zu diskutieren.
Was soll Gents Statement über deutsche Unternehmen aussagen? Dass sie nur durch die Krise kommen, wenn sie weiter bei gravierenden Arbeitsrechtsverletzungen in Bekleidungs- oder Spielzeugfabriken wegschauen können? Können sie nur überleben, wenn sie weiterhin billige Rohstoffe zum Preis der Gesundheit vom Bergbau betroffener Menschen importieren?
In diesen Tagen heben Politiker*innen zurecht das Ideal der internationalen Solidarität hoch. Die Pandemie könne nur bekämpft werden, wenn die Weltgemeinschaft gemeinsam die Mobilität der Menschen einschränke oder die Forschung an einem Impfstoff fördere. Es gehe darum, auch die Länder des globalen Südens zu unterstützen, in denen die Ausgangsbeschränkungen viele Menschen besonders hart treffen werden. Solidarisch sind aber weder unser Wirtschaftssystem noch unsere Lebensweise, so wie sie die Unternehmensverbände über die Krise retten wollen. Die Sozialwissenschaftler Markus Wissen und Ulrich Brand beschreiben beides mit ihrem Konzept der imperialen Lebensweise. Wichtiger Bestandteil davon ist, dass Unternehmen und Konsument*innen in den Ländern des globalen Nordens zwar vom globalisierten Handel profitieren, die negativen Folgen aber größtenteils auslagern (externalisieren). Die Arbeiter*innen in der weltweiten Bekleidungsindustrie werden nicht hierzulande sondern in den sog. Billiglohnländern Asiens, Afrikas oder Osteuropas ausgebeutet.
Jetzt, wo in Deutschland jedes Menschenleben zählt, dürfen wir nicht länger akzeptieren, dass die deutsche Wirtschaft von ausbeuterischen und gesundheitsschädigenden Produktionsweisen im Ausland profitiert. Die Welt nach Corona sollte nicht nur eine sein, in der zukünftige Pandemien verhindert werden und Grundfreiheiten wieder gelten. In ihr müssen Unternehmen auch weltweit dafür Sorge tragen, dass die Menschen, die von ihrer Produktion betroffen sind, ein gutes Leben führen können.
Doch können wir nicht erst mit dieser Aufgabe beginnen, wenn COVID-19 erfolgreich bekämpft wurde. Menschenrechtsschutz ist keine Schönwetter-Aufgabe. In der Krise sind viele Menschen der Willkür von Unternehmen besonders stark ausgeliefert. Das zeigt das Vorgehen einiger Bekleidungsunternehmen, die Aufträge stornieren oder sogar bereits fertig produzierte Waren ihren Zulieferern nicht mehr abnehmen. In der Folge stellen die Fabrikbesitzer*innen die Lohnzahlungen für die Arbeiter*innen ein oder entlassen sie. Viele Markenunternehmen greifen gerne auf die Arbeit der Näher*innen zurück, die sich mit Hungerlöhnen zufrieden geben müssen. Sobald verantwortungsvolles Handeln aber ihre Gewinne schmälern könnte, lassen sie sie im Stich. In ihrem Positionspapier „Das kranke System“ der Textilwirtschaft zeigt das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), dass Unternehmen ihre Arbeiter*innen in der Krise schützen könnten, wenn sie menschenrechtliche Sorgfaltsnahmen umsetzen.
Unsere Partnerorganisation Colectivo Madre Selva berichtet uns, dass Palmölplantagen in Guatemala indigenen Gemeinden Wasser rauben, das sie jetzt dringend benötigen, um sich vor COVID-19 zu schützen. Auch während der Pandemie werden Plantagenarbeiter*innen, die massive Arbeitsrechtsverletzungen anklagen, strafrechtlich verfolgt. Bereits im vergangenen Jahr haben wir in einer Studie gezeigt, dass die Sorgfaltsmaßnahmen deutscher Importeure von guatemaltekischen Palmöl unzureichend sind.
Bergbauunternehmen, die oft gewaltsame Konflikte mit Todesfolgen generieren, nutzen die Krise, um ihre Interessen durchzusetzen. Ein aktuelles Papier von Mining Watch Canada weist darauf hin, dass staatliche Sicherheitskräfte legitime und sichere Proteste gegen Bergbauprojekte unterdrücken. Währenddessen betreiben die Unternehmen den Abbau wie gewohnt fort und setzen sich zudem bei den Regierungen dafür ein, dass ohnehin schwache Umweltnormen weiter ausgehöhlt werden. Deutsche Industrieunternehmen wie Aurubis und Thyssenkrupp, die in Sachen Lieferkettenverantwortung viel Nachholbedarf haben, dürfen solche Praktiken nicht hinnehmen.
Ein Lieferkettengesetz ist aber nicht nur weiterhin nötig, weil es den von der Produktion betroffenen Menschen häufig schlechter als zuvor geht. Die Pandemie führt uns auch auf drastische Weise vor Augen, dass die Logik der Externalisierung Folgeschäden produziert, die unkontrollierbar auf die Gesellschaft zurückfallen können. So sind viele deutsche Schlachthöfe, in denen Menschen aus Ost- und Südeuropa unter unwürdigen Bedingungen schuften und auf engstem Raum untergebracht sind, zu Hotspots der Ausbreitung von COVID-19 geworden. Auf diese Weise wird die rücksichtslose Ausbeutung von Menschen zu einem Gesundheitsrisiko für die Allgemeinheit.
Ein Lieferkettengesetz ist und bleibt notwendig – in der Krise mehr denn je. Diese Ansicht scheint auch Entwicklungsminister Müller zu vertreten. „Diese globale Krise“, sagte er der Deutschen Welle, „ist auch ein Moment, um darüber nachzudenken, wie wir die zukünftige Globalisierung gestalten wollen.“ Am 27. Mai versprach er, dem Bundestag einen Gesetzesentwurf vorzulegen.
Auch die Initiative Lieferkettengesetz wird weiterhin Druck auf die Bundesregierung ausüben, damit sie das Gesetz noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet. Sie können sie dabei unterstützen, indem sie bis Ende Juli die Online-Petition unterzeichnen oder bis Ende Juni Unterschriften auf den Petitionslisten sammeln. Auch darüber hinaus wird es Möglichkeiten geben, sich als Einzelperson oder lokale Gruppe zu engagieren. Bleiben Sie auf dem Laufenden und setzen Sie sich für eine menschenwürdige und umweltverträgliche Wirtschaft ein!
Die Initiative Lieferkettengesetz eint 99 zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter Menschenrechts-, Entwicklungs- und Umweltorganisationen sowie Gewerkschaften und kirchliche Akteure. Im September 2019 haben sie sich zu einem Bündnis zusammengeschlossen. Die CIR gehört zu den 18 Trägerorganisationen der Initiative.
Zur Webseite der Initiative Lieferkettengesetz
Ich bin für Ihre Fragen da:
Christian Wimberger
Referent für Unternehmensverantwortung, Bergbau, öffentliche Beschaffung, Guatemala
wimberger @ci-romero.de
Telefon: 0251 - 674413-21
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