Jugend & Arbeitende Kinder

Die Verteidigung des Guten Lebens arbeitender Kinder

Logo des Internationalen Forums arbeitender Kinder
Bild: Europa NATs

Vom 16. bis 18. Oktober 2017 fand in der bolivianischen Metropole La Paz ein Internationales Forum statt, auf dem über alternative Politikansätze mit arbeitenden Kindern beraten wurde. An dem Forum nahmen ca. 250 Personen teil, darunter Wissenschaftler*innen und Praktiker*innen aus vier Kontinenten. Sie diskutierten in zahlreichen Workshops mit arbeitenden Kindern aus mehreren Ländern Lateinamerikas und Afrikas. Aus Indien waren zeitweise ebenfalls arbeitende Kinder per Videokonferenz zugeschaltet. Das Forum wurde von der bolivianischen Stiftung La Paz und dem Solidaritätsnetzwerk europanats in Koordination mit der lateinamerikanischen, afrikanischen und indischen Bewegung arbeitender Kinder veranstaltet.

Grundlegender Politikwechsel gefordert

Unmittelbare Anlässe des Forums waren die IV. Weltkonferenz der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zur „nachhaltigen Abschaffung der Kinderarbeit“, die vom 14. bis 16. November in Buenos Aires stattfindet, sowie die Defizite bei der Umsetzung des wegweisenden bolivianischen Kinder- und Jugendgesetzes, das seit nunmehr drei Jahren in Kraft ist. Die Teilnehmer*innen forderten einen grundlegenden Politikwechsel, der die Rechte und Interessen der arbeitenden Kinder achtet und ihre Partizipation ebenso wie ihren Schutz gewährleistet. Die bolivianische Regierung, die auf dem Forum durch die Vizeministerin für Chancengleichheit und Mitarbeiter*innen weiterer Ministerien sowie mehrerer Ombudsstellen für Kinderrechte vertreten war, wurde ermutigt, trotz internationaler Kritik an dem Gesetz festzuhalten und es vor Ort nachdrücklicher umzusetzen.

Erklärung von La Paz

Die Abschlusserklärung der Organisator*innen des Internationalen Forums von La Paz „Für die globale Verteidigung der Würde und des Guten Lebens (Buen Vivir) der arbeitenden Kinder“ im Wortlaut:

Wir leben in einer Welt, die weiterhin von Mächten beherrscht wird, die die Mutter Erde und das menschliche Leben, das in ihr gründet, abwerten, ausbeuten, zerstören, versklaven und quälen. Angesichts dieses Systems brutaler Ausbeutung ist es für die Millionen von Menschen auf dem Planeten, die Tag für Tag ihrer Rechte beraubt und in ihrer Würde verletzt werden, ein Hohn, von Perspektiven „würdiger Arbeit“ (decent work) zu sprechen. Ein wirtschaftliches Modell ohne Erweiterung der Möglichkeiten von Beschäftigung und Arbeit dient weiterhin den Privilegien einiger auf Kosten der großen Mehrheit.

Der Diskurs der Kinderarbeit, den die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) pflegt, verschleiert die  entmenschlichende Realität des neoliberalen wirtschaftlichen Systems und die Logiken der Ausbeutung, die von den Staaten erlaubt und gestützt werden.  Die neue Welle expliziter oder impliziter Sklaverei, die die Welt heimsucht, lässt sich nicht der Arbeit von Millionen Kindern in die Schuhe schieben, sondern gründet in der  Logik des globalisierten Kapitalismus.  Dieser macht sich die von ihm selbst hervorgerufenen Vertreibungen und die Verarmung zunutze, um die Menschen zur Akzeptanz auch noch der miesesten Arbeit zu nötigen, um nicht zu verhungern.

Das fortgesetzte Scheitern der abolitionistischen Politik und die Praktiken der Kriminalisierung der Armut sowie der arbeitenden Kinder und ihrer Familien stellen die rechtliche Institutionalität der ILO infrage. Sie machen die Situation der Kinder zu einer privaten Angelegenheit, statt sie als öffentliche Angelegenheit zu behandeln, um die sich der Staat kümmern müsste. Diese Realität verpflichtet die ILO aus ethischen und politischen Gründen, für den Schutz der arbeitenden Kinder zu sorgen, egal ob sie das von der ILO dekretierte Mindestalter für eine Beschäftigung erreicht haben.

Solange sich die ILO nicht zu einer kritischen Reflexion und Revision ihrer bisherigen Politik aufrafft, spielt sie mit dem Leben von Millionen arbeitender Kinder und bleibt taub gegenüber ihrer Forderung nach einer Politik der Staaten, die ihre Rechte schützt. Es bleibt zu konstatieren, dass die ILO trotz einer ausdrücklichen Einladung, am Forum teilzunehmen, sich wieder einmal geweigert hat, den organisierten arbeitenden Kindern zuzuhören. Dies verbindet sich mit den Beweisen der Missachtung, die diese internationale Organisation aufs Neue zeigt, wenn sie ankündigt, bis 2025 alle Formen von Kinderarbeit abgeschafft zu haben. Dem neuesten Report der ILO (Global estimates of child labour. Results and trends 2012-2016) zufolge werden wir 2025 noch 121 Millionen Kinderarbeiter haben („children in child labour“). Das  lässt  die Strategie der Abschaffung als eine Chronik angekündigten Scheiterns erscheinen. Es bedeutet, dass es für längere Zeit in diesem Jahrhundert mehrere Generationen von arbeitenden Kindern geben wird. Was wird mit ihnen geschehen? Was wird die ILO machen? Wird sie fortfahren, ihnen jede Form sozialer Anerkennung zu verweigern und sie damit zur sozialen Unsichtbarkeit verdammen?

Angesichts dieser tauben, arroganten und dogmatischen Einstellung verdient die Haltung des Plurinationalen Staates von Bolivien dafür Anerkennung, dass er in Verteidigung seiner Souveränität allem internationalen Druck widerstanden hat, das Kinder- und Jugendgesetz (Gesetz Nr. 548) zu widerrufen, das dem Schutz der arbeitenden Kinder gegenüber der Abschaffung der Kinderarbeit Vorrang gibt. Allerdings steht seine Umsetzung vor wichtigen Herausforderungen, darunter den folgenden:

  • Erweiterung und Fundierung der Handlungsfähigkeit der Ombudsstellen (Defensorías) zum Schutz der Rechte der Kinder, ohne ihre Rolle auf die Erteilung von Arbeitsgenehmigungen zu beschränken;
  • Ermöglichung und Erleichterung der Partizipation der arbeitenden Kinder in den Kinder- und Jugendkomitees;
  • Stärkung der Handlungskapazität der Gemeinden, um die adäquate Umsetzung des Gesetzes zu gewährleisten.

Angesichts der „IV. Weltkonferenz zur nachhaltigen Abschaffung der Kinderarbeit“, die vom 14. – 16. November in Buenos Aires, Argentinien, stattfindet, klagen wir die ILO an, dass sie den arbeitenden Kindern erneut die Teilnahme verweigert. Indem sie sich weigert, ihnen zuzuhören, verletzt sie deren bürgerliche und politische Rechte, namentlich die Rechte auf Partizipation, die in der UN-Kinderrechtskonvention verankert sind.

Die offensichtlichen Beschränkungen und das Scheitern der gegenwärtigen Politik gegenüber den arbeitenden Kindern haben schon zu viel Leiden und Verletzungen der Kinderrechte erzeugt. Es ist an der Zeit, diese Politik radikal zu verändern, indem die Erfahrungen und Forderungen der arbeitenden Kinder aufgegriffen werden und mit ihnen eine bessere Zukunft gestaltet wird.

Die Bewegungen der arbeitenden Kinder und die Organisationen und Personen, die sie begleiten, schließen sich den Kämpfen der sozialen Bewegungen und Völker an, die in verschiedenen Teilen der Welt die Würde, das Gute Leben (Buen Vivir) und die Menschenrechte verteidigen.

La Paz, 18. Oktober 2017

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Foto: Maren Kuiter

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Thorsten Moll
Referent für Landwirtschaft, Klimagerechtigkeit, arbeitende Kinder
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