Indigene

Die Karawane für das Wasser und das Leben verbindet widerständige Orte in Mexiko – und auf der ganzen Welt

In ihrem Gastbeitrag berichtet Indigo, Klimaaktivistin aus Lützerath, von ihrem Besuch in Mexiko. Zusammen mit 50 Menschen besucht die „Karawane für das Wasser und das Leben“ einen Monat lang Orte des Indigenen Widerstands.

Gastbeitrag von Indigo, April 2022

Indigo berichtet auf einem Acker vom Kampf der Lützerather Aktivist*innenn gegen den Braunkohletagebau und die Enteignung der Bürger*innen, Puebla, Mexiko. Foto: Jana Bauch

Indigo setzt sich seit Jahren aktiv gegen den Kohleabbau und die Zerstörung der Dörfer im rheinischen Braunkohlerevier ein. Neben dem Protest vor Ort will sie auch die globale Vernetzung der Klimabewegung fördern – um voneinander zu lernen und sich gegenseitig zu unterstützen. Im Rahmen unserer Kampagne„Game On“ nahm sie 2021 an einem Vernetzungstreffen der CIR mit Aktiven der Klimabewegung aus Europa und Mittelamerika teil. Aktuell ist sie mit einer Delegation aus Lützerath in Mexiko und berichtet hier von ihren Erfahrungen.

Von Lützerath nach Mexiko

Als uns in Lützerath die Einladung erreichte, eine Delegation zu einer Karawane nach Mexiko zu schicken, war unsere Begeisterung groß. Lützerath ist ein kleines Dorf im deutschen rheinländischen Braunkohlerevier, das am Tagebau Garzweiler 2 den Braunkohlebaggern trotzt. Schon seit längerem beschäftigt uns nicht nur die Frage, wie wir den Braunkohleabbau in Deutschland endlich stoppen, sondern auch, wie wir eine globale Bewegung für Klimagerechtigkeit aufbauen können. Eine Bewegung, die die Kämpfe der Menschen in den Mittelpunkt stellt, die sich an den Frontlinien der Klimakrise befinden. Globale Vernetzung und Beziehungen aufzubauen, erscheint uns dafür fundamental. Und so packten sechs Gefährtinnen und ich unsere Sachen und machten uns auf den Weg nach Mexiko.

Blick auf den Vulkan Popocatépetl, Puebla, Mexiko. Foto: Jana Bauch

Der Widerstand gegen Danone in Puebla

Die Karawane für das Wasser und das Leben startete am 22. März 2022, dem Internationalen Tag des Wassers. Das große Fest mit Cello- und Rapkonzerten, Kinderprogramm und Presskonferenz war nicht nur der Beginn der 34-tägigen Karawane, die in sieben verschiedenen Bundesstaaten Mexikos Orte des Indigenen Widerstands besuchen wird. Sondern auch Ausdruck der Freude darüber, dass im letzten Jahr 590 Millionen Liter Wasser gerettet wurden. Wie das gelang, erzählt uns der Ort, an dem die Karawane startete:

Foto: Jana Bauch

Im Bundesstaat Puebla, in der Gemeinde Juan C. Bonilla, befinden wir uns auf einem verwaisten Sportplatz neben einer großen Straße mitten im Nirgendwo. Gegenüber versperrt ein Stacheldrahtzaun den Eingang zu einer industriellen Anlage, auf deren Dach vermummte, bewaffnete Sicherheitskräfte stehen. Sie bewachen die ehemalige Wasserabfüllanlage von Bonafont, einer Marke des französischen Unternehmens Danone. 29 Jahre lang wurden hier Millionen Liter Wasser extrahiert und das Grundwasser der Region massiv angegriffen. Und so der umliegenden Bevölkerung die Lebensgrundlage Tropfen für Tropfen entzogen. Der Wasserverlust in der Region ist so deutlich spürbar, dass die landwirtschaftliche Nutzung sich völlig verändert hat. Die Obstbäume, die hier früher gediehen, wachsen nicht mehr. Die ganze Landschaft hat sich verändert. Am zweiten Tag der Karawane stehen wir auf einem staubtrockenen Stoppelfeld. Das Feld säumt ein vertrockneter Bach. Soweit wir gucken können: eine gelbbräunliche, flache Landschaft und wenige Bäume. Die Bäuerinnen und Bauern aus der Region zeigen uns Fotos davon, wie der Ort vor 40 Jahren aussah. Erstaunt sehen wir einen kleinen See, in dem lachende Kinder baden. Heute ist an der Stelle nicht mehr übrig als eine kleine, übelriechende Pfütze.

Aus reiner Notwendigkeit haben sie sich gegen diesen Konzern erhoben, sagen uns die Menschen der Region. Vor genau einem Jahr, am Tag des Wassers 2021, sind sie mit tausenden Menschen friedlich in die Wasserabfüllanlage eingedrungen und betonierten den Brunnen der Anlage zu. Einige Monate später besetzten sie die ganze Anlage und funktionierten sie zu einem Gemeindezentrum um. Sie nannten es „Altepelmecalli“, was Haus der Völker auf Nahuatl, der Sprache der Indigenen Bevölkerung der Region bedeutet. Und auch wenn „Altepelmecalli“ am 15. Februar geräumt wurde und nun von Sicherheitskräften bewacht wird, gibt etwas zu feiern. Denn der Wasserraub konnte noch nicht wiederaufgenommen werden. Dafür muss ein neuer Brunnen gebohrt werden. Und die Menschen sind entschlossen, das auch weiterhin zu verhindern.

Foto: Jana Bauch

Das verwehrte Recht auf Wasser

Nach drei Tagen verlässt die Karawane die Region Cholulteca. Mit einem Autobus, einem Jeep und einem Van machen wir uns als eine Gruppe von 50 Menschen auf den Weg in die Berge von Pueblas. An vielen Orten bleiben wir nur wenige Stunden. Und obwohl die Landschaft vor dem Busfenster sich schnell verändert, wir mal in saftig grünen Berglandschaften halten und mal in staubigen und felsigen Gegenden, sind die Probleme ähnlich.

Foto: Jana Bauch

Multinationale Firmen versuchen in den Regionen Fuß zu fassen oder sind schon länger etabliert. Sie kommen wegen der Ressourcen: Gold, Silber, Kohle, Kies, Wasser, Erdöl, Erdgas. Den Menschen in den Dörfern versprechen sie Schulen, Straßen und Arbeit, aber meistens bleibt von den Versprechungen nichts als verwüstete und vertrocknete Landschaften und gespaltene Dorfgemeinschaften übrig. Die meisten dieser Megaprojekte haben einen Einfluss auf die Wasserversorgung der Menschen. Auch wenn sie nicht wie in Juan C. Bonilla Wasser abpumpen, verschlechtern sie die Wasserversorgung, indem sie für den Ressourcenabbau große Mengen Grundwasser verbrauchen oder kontaminieren. Und die Frage nach dem Wasser ist eine existenzielle für die Menschen in den Regionen. Obwohl der Zugang zu sauberem Wasser ein Menschenrecht ist, haben heute 10 Prozent der Bevölkerung in Mexiko keinen Zugang zu Trinkwasser – das sind schätzungsweise 12,5 bis 15 Millionen Menschen. Vielen bleibt nichts anderes übrig, als das von Firmen wie Danone oder Coca Cola abgefüllte Wasser zu kaufen. Doch das können sich viele Familien nicht leisten.

Eine Compañera der Karawane für das Wasser und das Leben hält ein Protest-Banner: El agua se defiende (Das Wasser wehrt sich), Puebla, Mexiko. Foto: Jana Bauch

Über 500 Jahre Widerstand

Deswegen brodelt überall in Mexiko der Widerstand gegen die Firmen, die die Wasserversorgung weiter mit ihren „Projekten des Todes“, wie die Unternehmungen hier genannt werden, gefährden. Auf vielfältige Weise wehren sich die Menschen, um ihren Zugang zu Wasser sicherzustellen und ihre Umwelt zu erhalten. Mit Demonstrationen, Straßenblockaden, dem Blockieren von Zufahrten oder der Besetzung von Industrieanlagen. Dieser Protest wird in „Asambleas“, in großen Versammlungen, organisiert. Eingeladen ist die gesamte Gemeinde. Oft beruht diese Praxis auf den Indigenen Traditionen der Gegenden. Viele der Orte haben sehr klare Forderung: Zugang zu Wasser und Strom, zum Land, das sie bearbeiten, keine Ausbeutung ihrer Regionen durch multinationale Unternehmen und die Anerkennung ihrer Autonomie. Das Recht auf Letztere wird ihnen eigentlich im Artikel 33 der mexikanischen Verfassung zugesichert. Nach diesem müssten Unternehmen unter anderem erst die Gemeinden konsultieren, bevor sie sich niederlassen. Doch das passiert so gut wie nie.

Und sich für diese Rechte einzusetzen, ist oft gefährlich. Viele Umweltaktivist*innen werden ermordet, landen ohne rechtmäßiges Verfahren im Gefängnis oder verschwinden. Die Mörder*innen werden oft nicht gefasst. Recherchen ergeben immer wieder, dass sowohl Unternehmen als auch die Regierung mit den Drogenkartellen Mexikos zusammenarbeitet, um unbequeme Gegner*innen aus dem Weg zu schaffen. Samir Flores Soberanes, ein Bauer, der in Morelos mit einem kommunitären Radio gegen ein Gaskraftwerk kämpfte, ist einer dieser Ermordeten. Am 20.02.2019 wurde er vor seinem Haus erschossen. In der Karawane und an vielen anderen Orten der Welt lebt er weiter. Sein Bild und seine Geschichte, der Sprechchor: „Samir Vive – la lucha sigue“ („Samir lebt, der Kampf geht weiter“) begleiten uns auf unserem schlangenförmigen Weg durch Mexiko.

Foto: Jana Bauch

Im Angesicht dieser ständigen Bedrohung beeindruckt es uns umso mehr, mit welcher Entschlossenheit die Menschen kämpfen. Und welche Wärme der Karawane überall entgegengebracht wird, meist von Frauen, die stundenlang über Holzfeuern kochen, um uns einen Empfang zu bereiten. Unsere Versuche, der kapitalistischen Zerstörung in Deutschland etwas entgegenzusetzen, fühlen sich daneben oft klein und bedeutungslos an. Doch die Menschen, die wir treffen, freuen sich, dass wir da sind und wir voneinander lernen können. Für sie sind wir ihre Brüder und Schwestern in einem gemeinsamen Kampf gegen den Kapitalismus. Es ist ein Kampf, den viele der Gemeinschaften, die wir besuchen schon seit über 500 Jahren führen. Und dem wir uns anschließen wollen.

Foto: Jana Bauch

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Celia Meienburg
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