von Knut Henkel
Der 8. Juli war gerade eine Stunde alt. Bessy Michell Ferreira wartete gemeinsam mit drei weiteren Transfrauen am Park La Libertad auf Kundschaft. Die Täter waren zu dritt, kamen im Auto und schossen ohne Vorwarnung. Bessy Michell Ferreira starb an Ort und Stelle, Santo Izaguierre wurde mit einer schweren Schussverletzung ins Krankenhaus transportiert, erinnert sich Donny Reyes. Er ist Koordinator und Gründer von Arcoíris, der größten LGBTI*-Organisation in Tegucigalpa, der Hauptstadt von Honduras, und hat die Beerdigung seiner Freundin organisiert. Wieder einmal. „Ich bin es leid, die Toten zu zählen. Doch es hört nicht auf“, sagt der stämmige Mann von Mitte 40. Müde, unendlich müde sei er, denn Honduras befindet sich in Aufruhr.
Die Proteste gegen den durch Wahlbetrug im November 2017 im Amt bestätigten Präsidenten Juan Orlando Hernández, kurz JOH, halten seit Ende April an und Donny Reyes ist mit seinen Mitstreiter*innen von Arcoíris viel auf der Straße, auf Plena und Koordinationstreffen gewesen. Der Protest gegen die von der Regierung anvisierte Privatisierung von Gesundheits- und Bildungssystem dominiert den Alltag, neben der täglichen Arbeit im Büro von Arcoíris. Im Zentrum von Tegucigalpa, nur ein paar Steinwürfe vom Busbahnhof, im Stadtteil Concepción, hat die LGBTI*-Organisation ihren Sitz. Zwei Büros, ein Aufenthaltsbereich, in dem die Regenbogenfahne hängt und etliche Fotos an den Wänden. Viele, die da in die Kamera lächeln, sich in Pose schmeißen, gibt es nicht mehr – so wie Bessy. Die Transfrau von Mitte Dreißig hat sich bei den Muñecas von Arcoíris, den Püppchen von Arcoíris, engagiert; Kolleginnen auf dem Strich über ihre Rechte aufgeklärt und gemeinsam mit Paola Flores an einem Musterprozess gearbeitet. Ziel war es, gemeinsam mit liberalen Polizisten, Gerichtsmedizinern, Staatsanwälten und einem Richter anhand eines konkreten Falles aufzuzeigen, wie die staatlichen Institutionen arbeiten sollten – es aber in aller Regel nicht tun.
Morde bleiben ungestraft
96 Prozent der Morde an Angehörigen der LGBTI*-Community enden in der Straflosigkeit. „De facto haben die Täter nichts zu befürchten und Transfrauen sind am sichtbarsten und gefährdetsten“, so Donny Reyes. 38 Morde hat er gemeinsam mit anderen LGBTI*-Organisationen des Landes im Jahr 2018 dokumentiert – ein Mord weniger als in 2017. In diesem Jahr deutet alles darauf hin, dass die Zahl steigen wird: „26 sind es bis zum 11. Juli – es ist fürchterlich“, sagt Reyes. Er weiß nicht, ob es einen Zusammenhang zwischen den Morden und den Protesten gibt, aber Arcoíris ist dabei und sichtbar. Seit dem Putsch vom 28. Juli 2009 gegen die demokratisch legitimierte Regierung von Manuel Zelaya ist das so – seitdem ist die LGBTI*-Community politisch aktiv, engagiert sich in Menschenrechtsforen, aber auch auf der Straße.
Die Zahl der Morde an Aktivist*innen steigt seither kontinuierlich. Erst am 15. Juli hat das UN-Menschenrechtsbüro die zunehmenden Morde an Schwulen, Lesben, Bi-, Trans- und Intersexuellen verurteilt. So wie ein Jahr zuvor die Menschenrechtskommission der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). Gebracht hat das wenig, wie die Zahlen zeigen. Das hat vielfältige Gründe, aber mindestens einer ist struktureller Natur: Die Militärpolizei, die in den letzten Wochen mit Schusswaffen gegen Demonstrant*innen vorging, ist Teil des Problems, so Reyes. „Anzeigen gegen die Militärpolizei kann laut den Gesetzen nicht irgendein Staatsanwalt aufnehmen, sondern sie müssen direkt in der Kaserne der Einheit gemacht werden. Wer traut sich das schon?“, fragt er und rollt mit den müden Augen.
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