„Gewaltverbrechen müssen konsequent geahndet werden.“
Karla Avelar, LGBTI*-Aktivistin
25. November 2019
Das Interview führte Paula Lochte
Karla Avelar hat 1996 die erste Gruppe für die Rechte von Transgendern in El Salvador gegründet.
Seit 1822 ist homosexueller Sex in El Salvador keine Straftat mehr. Honduras hat ein gesetzliches Diskriminierungsverbot. Dennoch gehören beide Länder zu den gefährlichsten für LGBTI* weltweit. Wie passt das zusammen?
Auf dem Papier haben sowohl Honduras als auch El Salvador relativ gute Gesetze – aber sie werden nicht angewendet. Unter der Rechtslosigkeit leiden alle, doch vor allem Minderheiten wie LGBTI*. Besonders gefährdet sind Transfrauen, weil wir so sichtbar sind. Wir sind das Gesicht der queeren Community.
Was erleben LGBTI* in El Salvador?
Wir werden aus Schulen und Universitäten ausgeschlossen, in Krankenhäusern nicht behandelt, finden oft keine Arbeit und keine Wohnung. Uns wird sogar das Recht auf Leben abgesprochen. Im Jahr 2018 registrierten Nichtregierungsorganisationen 39 Morde an LGBTI*-Personen. Und weder die Polizei noch die Regierung, Abgeordneten oder Gerichte greifen ein.
Allein im Oktober und November 2019 wurden in El Salvador nach Informationen der Nachrichtenagentur Reuters vier LGBTI*-Personen ermordet. Woher kommt diese extreme Gewalt?
Es handelt sich um Hassverbrechen. Sie sollen der Community und der politischen LGBTI*-Bewegung schaden und sind durch den Hass auf Homosexuelle und Transgender motiviert. Die Täter gehen besonders brutal vor. Das zeigt die Ermordung von Anahy Rivas am 27. Oktober 2019. Der 26-jährige Transfrau wurde die Kehle durchgeschnitten. Zuvor war sie mitten auf einem der größten Boulevards der Hauptstadt entführt worden, wo überall Überwachungskameras installiert sind. Trotzdem sagen Polizei und Staatsanwaltschaft, es gäbe nicht genug Beweise, um Anklage zu erheben. Das ist entweder Behördenversagen oder Komplizenschaft.
Wer sind Ihrer Erfahrung nach die Täter dieser Hassverbrechen?
Familienangehörige und kriminelle Banden wie die Maras, vor allem aber Polizisten. Sie töten sogar mit Dienstwaffe, haben aber die Mittel, einen Tatort nach organisiertem Verbrechen aussehen zu lassen. Und oft ist schwer zu sagen, ob die Täter Polizisten waren oder sich nur als solche ausgaben.
Auch Menschenrechtler*innen aus Honduras berichten von Übergriffen durch Polizei und Militär. Gibt es für diese Taten in El Salvador Ihrer Ansicht nach einen Befehl von oben?
Einen Befehl vielleicht nicht, eine Billigung schon eher. Mir fehlen Informationen, um die Frage sicher beantworten zu können. Ich vermute, dass die Polizisten auf eigene Rechnung handeln. Motiviert durch Transphobie und Homofeindlichkeit begehen sie Macht- und Amtsmissbrauch. Sie nehmen dich grundlos fest, durchsuchen dich, verprügeln und belästigen dich. Im schlimmsten Fall ist dein Leben in Gefahr.
Und die Regierung?
Die macht sich mitschuldig, weil sie tatenlos zuschaut. Eine der ersten Amtshandlungen unseres neuen Präsidenten Nayib Bukele war es, das Gleichstellungsreferat und das Referat für Inklusion zu schließen, womit auch die Stelle für sexuelle Diversität wegfiel. Seine Regierung setzt sich weder für Frauen noch für Homosexuelle und Transpersonen ein. Im Gegenteil. Nur auf Druck der Zivilgesellschaft und internationaler Organisationen wie der Vereinten Nationen wird sich das ändern.
Was muss sich ändern?
Gewaltverbrechen müssen konsequent geahndet werden. Bestehende Gesetze müssen angewendet und neue geschaffen werden. Aus der Zivilgesellschaft heraus wurden zwei Gesetze erarbeitet. Eines zum Schutz von Menschenrechtler*innen und eines, das es Transpersonen ermöglicht, ihren Namen und ihren Geschlechtseintrag zu ändern. Aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass das Parlament den beiden Entwürfen zustimmt. Das hat auch mit dem Einfluss der Kirchen zu tun.
Inwiefern?
Formal ist El Salvador ein laizistischer Staat. Tatsächlich nehmen fundamentalistische Gruppierungen aber massiv Einfluss auf die Gesetzgebung. Die Abgeordneten entscheiden mit der Bibel statt der Verfassung in der Hand. Dabei denken sie auch an ihre Wählerschaft: Fast 100 Prozent der Bevölkerung sind christlich. LGBTI* bekommen das ebenso zu spüren wie Frauen. In El Salvador herrscht ein absolutes Abtreibungsverbot. Die Religion durchdringt die Politik, Gesellschaft und die meisten Familien.
Sie mussten El Salvador aufgrund von Morddrohungen verlassen. Seit 2017 leben Sie im Exil in Genf.
In El Salvador sind wir Hass und Gewalt schutzlos ausgeliefert. Deshalb müssen viele LGBTI* fliehen. Die meisten flüchten nach Nordamerika, einige nach Europa. Dort wartet dann ein bürokratisches Asylverfahren auf uns, wir dürfen nicht arbeiten und uns nicht frei bewegen. Diskriminierung wegen unseres Geschlechts, unserer sexuellen Orientierung oder unserer Herkunft gibt es auch in der sogenannten Ersten Welt.
Nicht nur Sie, auch Ihre Angehörigen wurden massiv bedroht. Ihre Mutter ist mit Ihnen in die Schweiz geflohen. Viele Eltern verstoßen ihre homosexuellen und transgeschlechtlichen Kinder. Wie war es bei Ihnen?
Ich komme aus ärmlichen Verhältnissen. Meine Mutter ist sehr katholisch. Es war schwer für sie, zu akzeptieren, dass „ihr Sohn“ eine Frau ist. Aber heute toleriert sie mich nicht nur, sie respektiert mich. Ich werde nie vergessen, wie meine Mutter eines Tages ins Büro kam und gefragt hat: „Ist meine Tochter Karla da?“
Ich bin für Ihre Fragen da:
Kirsten Clodius
Referentin für Honduras, Nicaragua
clodius @ci-romero.de
Telefon: 0251 - 674413-18
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