Guatemala

Guatemalas Ernährungskrise: Am schlimmsten trifft es Kinder

In Guatemala ist jedes zweite Kind unterernährt. Der sozialdemokratische Präsident Bernardo Arévalo sieht darin ein „klares Zeichen für das Versagen der Gesellschaft“. Er will nun die strukturellen Ursachen bekämpfen. Dabei muss er mit zivilgesellschaftlichen Organisationen zusammenarbeiten, welche die Ernährungssouveränität der indigenen Bevölkerung stärken.

Monokulturen tragen zur Nahrungsmittelknappheit bei. Foto: (c) Naypong Studio / Adobestock

In Guatemala vollzieht sich eine schleichende humanitäre Katastrophe – mit schwerwiegenden Folgen für die Betroffenen und die gesamte Gesellschaft. Einer staatlichen Erhebung von 2014 zufolge leiden 46,5 Prozent aller Kinder in Guatemala an chronischer Unterernährung. Damit ist Guatemala das Land mit der höchsten Unterernährungsrate bei Kindern in Lateinamerika, weltweit steht es an sechster Stelle. Expert*innen gehen davon aus, dass sich diese Zahlen in den vergangenen Jahren sogar noch verschlechtert haben, u. a. aufgrund der Corona-Pandemie sowie von Dürren und Tropenstürmen im Zuge der Klimakrise. Besonders stark betroffen sind Regionen mit einem hohen Anteil an indigener Bevölkerung, die historisch diskriminiert wird.

Unterernährung schränkt kognitive Entwicklung ein

Gesundheitsorganisationen unterscheiden zwischen der akuten und der chronischen Unterernährung. Erstere ist mit Hunger gleichzusetzen und zeigt sich anhand klarer körperlicher Anzeichen wie hervortretender Knochen. 2024 starben dem Gesundheitsministerium zufolge in Guatemala bereits acht Kinder an akuter Unterernährung. Die chronische Unterernährung hat schleichendere, aber nicht weniger gravierende Auswirkungen. Sie tritt auf, wenn die Zufuhr von Kalorien und Nährstoffen einer Person langfristig unter ihrem Nährstoffbedarf liegt. Das ist z. B. der Fall, wenn die Ernährung aus ungesunden Fertigprodukten besteht. Der Arzt José Silva vom Programm „Guatemaltek*innen für die Ernährung“ schlägt gegenüber der spanischen Tageszeitung El País Alarm: „Eins von zwei Kindern in Guatemala erhält nicht ausreichend Nährstoffe, damit sich sein Gehirn normal entwickelt. Diese Kinder werden der Armut ausgeliefert sein.“ Die richtige Ernährung sei die Grundlage für alles, ohne sie würden Bildungsprogramme ins Leere laufen. Staatliche und private Programme kämpfen seit Jahren gegen die Unterernährung an. Der Fokus liegt dabei oft auf der Verteilung von Nahrungsmitteln. Die Akzeptanz der verteilten Produkte ist in der Bevölkerung aber häufig gering, da es vorkam, dass sie verdorben waren.

Die Ursachen müssen bekämpft werden

Die deutsche Unternehmerin Lilly Ebener-Stoll verfolgt ein anderes Konzept. Ihr soziales Unternehmen stellt eine Erdnussbutter namens Nutrilisto her, die mit Vitaminen, Eisen und Zink versetzt ist. In bunter Verpackung mit einem Smiley darauf erinnert das Produkt absichtlich an die billigen Fertigprodukte, die viele arme Menschen kaufen. Nutrilisto kann zwar einen Beitrag dazu leisten, Familien mit den wichtigsten Nährstoffen zu versorgen. Jedoch kann es nicht die Ursachen der Unterernährung bekämpfen. Es knüpft vielmehr an die Konsumgewohnheiten an, die Nahrungsmittelkonzerne seit Jahrzehnten in Guatemala fördern. Die Regierung Arévalos will jetzt einige Schritte weiter gehen und verfolgt mit dem Programm „Hand in Hand“, an dem sieben Ministerien beteiligt sind, einen multidimensionalen Ansatz zur Bekämpfung von Armut und Unterernährung. Die Zahlung von Boni an Familien soll an bestimmte Gesundheits- und Bildungsmaßnahmen geknüpft werden. Die Bevölkerung, insbesondere Frauen, soll einen besseren Zugang zu Mikrokrediten erhalten. Außerdem will die Regierung die Landwirtschaft durch technische Beratung und die Verteilung von Saatgut fördern. Die Regierung erhofft sich, so die wirtschaftliche Entwicklung in Gang zu bringen.

Ernährungssouveränität versus Agrarindustrie

Foto: (c) CONGCOOP

Die CIR-Partnerorganisation CONGCOOP begrüßt die Maßnahmen Arévalos, fordert aber die Verteilung hochwertigerer Produkte, die besser zur Kultur der Territorien passen. „Die Regierung muss die Ursachen der Unterernährung bekämpfen. Sie sollte die kleinbäuerliche Familienlandwirtschaft und die Ernährungssouveränität unterstützen“, sagt Alejandro Aguirre Batres von CONGCOOP. Ernährungssouveränität bedeutet für Aguirre Batres, dass die Gemeinden die Kontrolle über die Produktion und die Verteilung von Nahrungsmitteln auf nachhaltige und an die indigene Kultur angepasste Weise zurückgewinnen. Für ihn ist Unterernährung vor allem ein Umwelt- und Gerechtigkeitsproblem. Das Wasser der Flüsse, das die Gemeinden trinken, sei durch Chemikalien und Düngemittel verschmutzt und verursache bei Kindern dauerhaften Durchfall, was die Aufnahme von Nährstoffen verhindert. Letztlich führen die Spuren oft zur Agrarindustrie, z. B. zur Produktion von Palmöl für den Export – auch nach Deutschland. Eine Studie der Katholischen Universität Mailand weist nach, dass die Expansion von Palmölplantagen die Wahrscheinlichkeit für Kinder, an Unterernährung zu leiden, erhöht. Das ist u. a. auf die Verdrängung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft, oft in Verbindung mit Landraub, und die Verschmutzung des Wassers mit Pestiziden zurückzuführen. Um die Ernährungssouveränität wiederherzustellen und die Abhängigkeit von z. B. Maisimporten zu verringern, muss die Regierung mit Initiativen wie CONGCOOP zusammenarbeiten, die auf agrarökologische Produktion setzen. Mit diesem Ziel vor Augen wird allerdings kein Weg daran vorbeiführen, die Macht der Agrarindustrie einzuschränken, die von rechten Regierungen jahrelang massiv gefördert wurde.

CONGCOOP

Regionales Programm für Agrarökologie und Ernährungssouveränität

Die Coordinación de Organizaciones no Gubernamentales y Cooperativas (CONGCOOP) ist ein Dachverband aus lokalen Kooperativen und Initiativen, der dafür kämpft, die Ernährungssouveränität in den Maya-Regionen zu stärken. Dafür muss sich die Organisation gemeinsam mit den betroffenen Gemeinden gegen die ausbeuterische Palmölindustrie zur Wehr setzen, u. a. indem sie mit Unterstützung der CIR das deutsche Lieferkettengesetz nutzt. Als Gegenmodell zur Agrarindustrie will CONGCOOP das Konzept der Agrarökologie etablieren. CONGCOOP vermittelt der indigenen Bevölkerung Wissen über traditionelle und nachhaltige Anbaumethoden und etabliert lokale Märkte. Auf diese Weise leistet die Organisation einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen Unterernährung.

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Porträt von Christian Wimberger

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Christian Wimberger
Referent für Unternehmensverantwortung, Bergbau, öffentliche Beschaffung, Guatemala
wimbergernoSpam@ci-romero.de
Telefon: 0251 - 674413-21