Die Straflosigkeit korrupter und repressiver Eliten und die Zerstörung des Rechtsstaates zählen in Guatemala zu den größten Hindernissen für die Demokratisierung des Landes. Besonders deutlich zeigt das aktuell ein geplantes Gerichtsverfahren gegen Kriegsverbrecher, das staatliche Institutionen mit aller Gewalt zu verhindern versuchen.
Anstatt den zuständigen Richter Miguel Ángel Gálvez bei der Aufarbeitung schwerer Verbrechen während des bewaffneten Konflikts zu unterstützen, behindern sie ihn durch eine Kriminalisierungskampagne. Unsere Partnerorganisation CALDH, die als Nebenklägerin im Prozess auftritt, wehrt sich gegen die Vereinnahmung der Justiz und gegen den zunehmenden Autoritarismus.
Es sollte ein Meilenstein in der Aufarbeitung staatlicher Gewalt während des bewaffneten Konflikts werden: Der Richter Miguel Ángel Gálvez entschied Anfang Mai, ein Strafverfahren gegen neun Militärs und Polizisten zu eröffnen. Diesen wird vorgeworfen, sich während des autokratischen Regimes von Óscar Humberto Mejía Víctores (1983 – 1986) an der Folter, dem Verschwindenlassen, der Vergewaltigung und der Ermordung von Oppositionellen beteiligt zu haben. In der guatemaltekischen Berichterstattung wird der Fall als „Diario Militar“ (Militärisches Tagebauch) bezeichnet. Damit ist ein „geleakter“ Bericht der guatemaltekischen Armee über die Ermordung und das Verschwindenlassen von 183 Oppositionellen durch das Militär, die Polizei und Todesschwadronen gemeint.
Der Strafprozess soll auf diesem Dokument basieren, das auf zynische Weise die Gewalt dokumentiert. Die meisten Angeklagten waren vor ihrer Verhaftung im Mai 2021 hochrangige Funktionäre in Militär und Polizei. Dass viele Täter*innen immer noch in staatlichen Institutionen tätig sind, verdeutlicht die mangelhafte Aufarbeitung der Verbrechen gegen Oppositionelle und des Genozids an der indigenen Bevölkerung während des bewaffneten Konflikts zwischen rechtsgerichteten Regierungen und linken Guerrilla-Gruppen (1960 – 1996).
Als Kläger*innen werden bei dem Prozess fünf Hinterbliebene der Ermordeten und zwei NGOs zugelassen. Darunter befindet sich auch unsere Partnerorganisation CALDH (Zentrum für Rechtsbeistand und Menschenrechte). Der Anwalt Francisco Vivar von CALDH erklärte als Ziel des Rechtsberatungsbüros der Organisation, „nachzuweisen, dass die Sicherheitskräfte des Staates nach einem gemeinsamen Plan handelten, einer Politik des Verschwindenlassens identifizierter sog. interner Feinde, nämlich von Gewerkschafter*innen, Studierenden und Denker*innen“.
Die Ankündigung des Strafverfahrens war ein wichtiger Lichtblick inmitten zahlreicher Angriffe hoher Gerichte, der Generalstaatsanwältin Consuelo Porras und des Staatspräsidenten Alejandro Giammattei auf die Unabhängigkeit der Justiz. Doch die rechten Eliten und reaktionäre Unternehmer*innen ließen die Provokation nicht auf sich sitzen. Die Stiftung gegen den Terrorismus, eine ultrarechte Organisation, die sich auf die Diffamierung von Aktivist*innen und kritischen Justizbeamt*innen spezialisiert hat und ideologisch im Kalten Krieg stehen geblieben ist, zeigte Mitte Juni Richter Gálvez beim Obersten Gerichtshof an.
Der Leiter der Stiftung, der Unternehmer Ricardo Méndez Ruiz, steht auf einer Sanktionsliste der USA, da er in Verdacht steht, korrupt zu sein und die Demokratie im Land zu untergraben. Gálvez habe, so der Vorwurf der rechten Stiftung, auf illegale Weise Präventivhaft gegen die neun Militärs und Polizisten verhängt. Der Oberste Gerichtshof leitete daraufhin ein gerichtliches Vorverfahren zum Entzug der Immunität des Richters ein.
Gálvez, der nach eigenen Angaben in den letzten Wochen mehrmals Drohungen erhalten hat, legte aufgrund des Verfahrens eine offizielle Beschwerde beim Verfassungsgericht ein. Da das Verfassungsgericht aber auch als von den korrupten Eliten kontrolliert gilt, ist es unsicher, ob er damit Erfolg haben wird.
Die Zivilgesellschaft lässt die Hinterbliebenen der Opfer und Gálvez nicht im Stich. CALDH veranstaltete zusammen mit anderen Organisationen am 17. Juni eine Pressekonferenz, um sich mit Gálvez zu solidarisieren. „Die illegalen Aktionen schockieren uns“, so die Aktivist*innen. „Sie zeigen die andauernde Behinderung der Gerechtigkeit und des Rechts auf Wahrheit der Opfer, die seit über drei Jahrzehnten auf eine Antwort auf ihre Forderungen warten.“
Weltweit zeichnen sich heute viele autoritäre Regierungen nicht mehr wie vor einigen Jahrzehnten dadurch aus, dass sie die Macht durch Putsche an sich reißen und den Staat von Grund auf umgestalten. Vielmehr versuchen sie, die bestehenden Institutionen zu kontrollieren. Besonders im Fokus steht dabei meist die Justiz.
In Guatemala besetzt der sog. Pakt der Korrupten – ein Netzwerk aus rechten Politiker*innen, Justizbeamt*innen, Militärs und kriminellen Unternehmen – einerseits die Gerichte erfolgreich mit gefälligen Personen. Andererseits verfolgt diese korrupte Allianz kritische Richter*innen und Staatsanwält*innen, die in Fällen von Menschenrechtsverletzungen und Korruption ermitteln, durch Diffamierungskampagnen und konstruierte Strafverfahren.
In den letzten Jahren sahen sich deshalb 24 Mitarbeiter*innen der Justiz gezwungen, ins Exil zu gehen. Der letzte Vergeltungsakt richtete sich gegen die Staatsanwältin Hilda Pineda, die 2013 den Ex-Diktator Efraín Ríos Montt wegen Genozids an der indigenen Bevölkerung anklagte: Generalstaatsanwältin Consuelo Porras hatte Pineda auf groteske Weise 2021 in die Abteilung für touristische Delikte versetzt, bevor sie sie Anfang Juli komplett entließ.
Die Verfolgung der unabhängigen Justiz stellt einen gravierenden Rückschritt für ein Land dar, das sich in den 1990ern im Zuge eines Friedensprozesses darauf geeinigt hat, den Weg in Richtung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzuschlagen. Die Straffreiheit der Eliten, die daraus folgt, verhindert Fortschritte in zwei zentralen gesellschaftlichen Problemfeldern.
Zum einem verschlingt die Korruption Unsummen an Geldern, die für die Bekämpfung der Armut fehlen. Die enorme soziale Ungleichheit zwischen der privilegierten weißen Oberschicht und der marginalisierten indigenen Bevölkerung wird so zementiert. Zum anderen behindert die Straffreiheit die Aufarbeitung der staatlichen Gewalt während des bewaffneten Konflikts. Die Überlebenden der Gewalt fordern hingegen Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Nicht-Wiederholung. Die Strafverfolgung ist nicht nur dringend erforderlich, damit die tausenden Hinterbliebenen Vertrauen in die Gesellschaft und den Staat gewinnen können. Die Institutionen müssen auch endlich von der Kontrolle durch Militärs befreit werden, die immer noch in kriminellen Netzwerken operieren und Menschenrechtsverletzungen begehen.
In den letzten Jahren haben es die Bewegung der Kriegsgeschädigten zusammen mit Organisationen wie CALDH und Richtern wie Miguel Gálvez geschafft, gleich mehrere Strafverfahren gegen die staatlichen Täter anzustoßen. Doch die Repression des Pakts der Korrupten hat einen kritischen Punkt erreicht und könnte dazu führen, dass die Eliten dauerhaft ein autoritär-korruptes System installieren, das jeglichen Widerstand unterdrückt.
Guatemala droht aktuell in vielerlei Hinsicht in die finsteren Zeiten der autoritären Regierungen des 20. Jahrhunderts zurückzufallen. Um das zu verhindern, ist jetzt dringend internationaler Druck nötig! „Wir fordern die internationale Gemeinschaft auf, das politische und soziale Geschehen in Guatemala genau zu verfolgen, damit die Rückschritte in Sachen Menschenrechten nicht einen Punkt erreichen, an dem keine Umkehr mehr möglich ist“, so CALDH auf der Pressekonferenz. Diese Forderung richtet sich auch an die Bundesregierung und die Europäische Union. Sie müssen die Zivilgesellschaft und die unabhängige Justizbeamt*innen nach Kräften unterstützen und jegliche Kooperation mit der guatemaltekischen Regierung konsequent an die Einhaltung rechtstaatlicher Prinzipien knüpfen!
Ich bin für Ihre Fragen da:
Christian Wimberger
Referent für Unternehmensverantwortung, Bergbau, öffentliche Beschaffung, Guatemala
wimberger @ci-romero.de
Telefon: 0251 - 674413-21
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