DIE BUNDESREGIERUNG UND DER BUNDESTAG SOLLTEN DIE ZENTRALAMERIKANISCHEN STAATEN DAZU AUFFORDERN SICHERZUSTELLEN,
dass das Strafrecht nicht dazu missbraucht wird, die Arbeit von Menschenrechtsverteidiger*innen zu be- und verhindern.
Im Einzelnen
- sollten Ermittlungsbehörden das Prinzip der Unschuldsvermutung wahren, nämlich erst Anklage erheben, wenn zweifelsfrei erwiesen ist, dass eine Straftat begangen wurde, und sie sollten nationale Gesetze objektiv und in Einklang mit internationalen Menschenrechtsstandards anwenden;
- sollten Ermittlungsbehörden, wenn der*die Angeklagte Menschenrechtsverteidiger*in ist, stets den Kontext seiner*ihrer Arbeit mit in die Ermittlungen einbeziehen und erwägen, ob die Strafanzeige mit dem Ziel erstattet wurde, die Arbeit des*der Angeklagten zu behindern;
- sollte das Recht auf Zugang zur Justiz gewährleistet sein;
- sollten Menschenrechtsverteidiger*innen umgehend den Grund für eine Klage gegen sie erfahren, einen Rechtsbeistand ihrer Wahl in Anspruch nehmen können sowie ohne zeitliche Verzögerung Akteneinsicht gewährt bekommen;
- sollten alle Angehörigen des Justizwesens, die das Recht willkürlich gegen Menschenrechtsverteidiger*innen verwendet haben, je nach Schwere ihres Vergehens einem Disziplinarverfahren oder einem Strafprozess unterworfen werden;
- sollte herrschende Straflosigkeit bei Übergriffen gegen Menschenrechtsverteidiger*innen durch ernsthafte, unabhängige und transparente Untersuchungen zur Ermittlung der Täterschaft effektiv bekämpft werden;
- sollten Angehörige des Justizwesens über ausreichende Ausstattung und Personal verfügen, eine angemessene Ausbildung genossen haben und nach objektiven Kriterien für ihr Amt ausgewählt worden sein;
- sollte die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz gewährleistet werden und diejenigen Justizangehörigen, die ihr Amt unparteilich, unabhängig und unter Beachtung aller geltenden Menschenrechtsnormen ausüben, nicht selbst bedroht und kriminalisiert werden;
- sollte das Vorgehen der Justizbehörden unter Aufsicht gestellt werden;
- sollten Strafprozesse gegen Menschenrechtsverteidiger*innen nicht unnötig in die Länge gezogen sowie alle weiteren Prinzipien des fairen Prozesses eingehalten werden;
- sollte jede Art der willkürlichen oder illegalen Verhaftung unterbunden werden sowie Isolationshaft, Folter und andere grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung und weitere Verletzungen des Rechts aufeinen fairen Prozess;
- sollten Sicherheitsauflagen, wie beispielsweise eine Meldepflicht, die einer*m angeklagten Menschenrechtsverteidiger*in auferlegt werden, nicht willkürlich erteilt werden und eine Weiterführung der Menschenrechtsarbeit des*der Betroffenen ermöglichen;
- sollte die Freilassung von inhaftierten Menschenrechtsverteidiger*innen mittels Hinterlegung einer Kaution unter Beachtung der ökonomischen Situation der Betroffenen erfolgen, um Diskriminierung zu vermeiden;
- sollten Sanktionen, wie Versammlungs- oder Besuchsverbote sowie eine Beschneidung der Meinungsäußerungsfreiheit, nicht angewendet werden, da ie die Arbeit von Menschenrechtsverteidiger*innen erheblich einschränken;
- sollten alle Strafprozesse und auch alle bereits gefällten Urteile gegen Menschenrechtsverteidiger*innen, die einer objektiven Grundlage entbehren und nachweislich dazu dienen, ihr Recht auf Menschenrechtsarbeit zu verletzen, umgehend annulliert werden;
- sollten alle Menschenrechtsverteidiger*innen, die unrechtmäßig einer Straftat bezichtigt worden sind, umfassende Wiedergutmachung erhalten und alle Eintragungen ins Vorstrafenregister gelöscht werden.
Dass Gesetze nicht dazu missbraucht werden können, um Menschenrechts-verteidiger*innen zu kriminalisieren beziehungsweise ihre Arbeit zu delegitimieren.
Im Einzelnen
- sollten Gesetze, die Straftaten definieren, klar und präzise formuliert werden, um eine willkürliche Anwendung gegen Menschenrechtsverteidiger*innen effektiv zu verhindern;
- sollten Gesetze gegen Diffamierung so formuliert werden, dass sie die Meinungsäußerungsfreiheit nicht einschränken;
- sollten Straftaten, welche die öffentliche Ordnung, den Frieden oder die nationale Sicherheit gefährden (wie zum Beispiel Rebellion, Verkehrsbehinderung, Bildung einer illegalen Vereinigung) so definiert werden, dass sie nicht gegen die Arbeit von Menschenrechtsverteidiger*innen angewendet werden können;
- sollte die Ausübung des Rechts auf friedliche Vereinigung – unter anderem zum Zweck des öffentlichen Protests – nicht durch das Einholen einer behördlichen Genehmigung oder andere formale Anforderungen beschnitten werden;
- sollten sozialer Protest und Kritik am Handeln des Staates nicht mit Straftaten wie Terrorismus, Vaterlandsverrat oder Rebellion in Verbindung gebracht werden, solange kein konkreter Anhaltspunkt für solch schwere Vergehen vorliegt;
- sollte das Recht von Menschenrechtsorganisationen und -gruppen, unabhängig für ihren finanziellen Unterhalt zu sorgen, nicht durch behördliche Einmischung eingeschränkt werden;
- sollte jede Gesetzgebung, die das Beziehen von Geldmitteln aus dem Ausland zum Zweck der Menschenrechtsarbeit unter Strafe stellt, abgeschafft oder reformiert werden;
- sollten Beweggründe, wie die Wahrung der nationalen Souveränität oder Vorgehen gegen ungebotene Einmischung ausländischer Akteur*innen, fallengelassen werden;
- sollten Überwachungsaktionen gegenüber Menschenrechtsverteidiger*innen nie ohne richterliche Genehmigung und unter der Aufsicht anderer Behörden stattfinden; Letztere sollten rechenschaftspflichtig sein.
Dass alle in den UN-Menschenrechtsübereinkommen sowie in der Amerikanischen Menschenrechtskonvention verankerten Rechte und Grundfreiheiten garantiert werden, insbesondere das Recht, die international anerkannten Menschenrechte zu schützen und zu fördern.
Im Einzelnen
- sollte die Arbeit von Menschenrechtsverteidiger*innen und ihre wichtige Rolle als Hüter*innen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit öffentlich anerkannt werden;
- sollte insbesondere bei Staatsbediensteten auf allen Ebenen mittels gezielter Informationen und Fortbildungen die Legitimität der Arbeit von Menschenrechtsverteidiger*innen bewusst gemacht werden;
- sollten Möglichkeiten des offenen Austausches zwischen Regierungsbehörden auf allen Ebenen und Menschenrechtsorganisationen geschaffen werden;
- sollten Menschenrechtsverteidiger*innen bei der Gestaltung der Politik aktiv einbezogen und bei zentralen Fragen konsultiert werden;
- sollten Menschenrechtsverteidiger*innen sowie auch potentiell betroffene Gruppen und Personen an Entscheidungen über Projekte, die Auswirkungen auf die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte haben, beteiligt werden, und zwar vor Beginn solcher Projekte;
- sollte von stigmatisierenden Äußerungen über Menschenrechtsverteidiger*innen bzw. solchen, die ihre Arbeit zu delegitimieren suchen, abgesehen werden;
- sollten Staatsbedienstete diesbezüglich klare Instruktionen erhalten und bei Missbrauch ihres Amtes einem Disziplinarverfahren unterzogen werden;
- sollten geäußerte Stigmatisierungen im Nachhinein öffentlich berichtigt werden;
- sollte die Ausbildung von Sicherheitskräften die Menschenrechte beinhalten;
- über konkrete bürgerliche Grundfreiheiten, so wie die Versammlungs-, Vereinigungs und Meinungsäußerungsfreiheit, und das Recht, die international anerkannten Menschenrechte zu schützen und zu fördern, sollten regelmäßige Fortbildungen angeboten werden.
Dass relevante neue internationale und regionale Standards, welche die Rechte von zivilgesellschaftlichen Akteur*innen fördern und schützen, anerkannt und implementiert werden, so wie:
- das regionale Abkommen von Escazú (2018);
- die UN-Erklärung über die Rechte von Kleinbauern und -bäuerinnen und anderen Menschen, die in ländlichen Regionen arbeiten (2018).
DIE BUNDESREGIERUNG SOLLTE IN DER AUSÜBUNG IHRER EIGENEN POLITIK DAFÜR SORGE TRAGEN, DASS
die Kriminalisierung von Menschenrechtsverteidiger*innen als eine der größten Bedrohungen für die Sicherheit dieser Personengruppe anerkannt wird und
dass Menschenrechtsarbeit und der Schutz von
- Menschenrechtsverteidiger*innen als Schwerpunkt in die strategische Förderung der Menschenrechte aufgenommen wird;
- öffentliche oder private Investitionen aus Deutschland keine negativen Auswirkungen auf die Arbeit von Menschenrechtsverteidiger*innen ausüben oder gar Kriminalisierung fördern.
Im Einzelnen
- sollten Unternehmen umfassend darüber aufgeklärt werden, wer Menschenrechtsverteidiger*innen sind und was sie legitimer Weise tun, zum Beispiel durch eine sektorübergreifende Studie oder ein Handout und Beratungsangebote in den Außenvertretungen;
- sollten Unternehmen dazu aufgefordert werden, das Engagement von Menschenrechtsverteidiger*innen zu respektieren, sie also weder bei ihrer Arbeit zu behindern noch durch die eigenen Aktivitäten wissentlich oder unwissentlich zusätzlichem Risiko auszusetzen; sollten Unternehmen dazu angehalten werden, lokale Zivilgesellschaft – also (potentiell) Betroffene sowie unabhängige Nichtregierungsorganisationen – in ihre Risikoabschätzungen sowie während des gesamten Lebenszyklus´ ihrer Aktivitäten engagiert einzubinden und Informationen transparent zur Verfügung zu stellen (siehe auch Prinzip 3d der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte199).
- sollten bei Projekten der Entwicklungszusammenarbeit, wie zum Beispiel zum Ausbau der Infrastruktur oder der Energiegewinnung, eine umfassende menschenrechtliche Risikoüberprüfung ex ante durchgeführt werden, welche die Situation von Menschenrechtsverteidiger*innen mit einschließt.
- Projekte der Entwicklungszusammenarbeit in den zentralamerikanischen Ländern, die der Stärkung der Justiz und der Rechtsstaatlichkeit dienen sollen, auch dazu beitragen, Grundlagen zur Unterbindung vonKriminalisierung zu schaffen. Im Einzelnen sollte der Bereich der behördlichen Aufsicht gestärkt werden, um Angestellte des Staates, die Gesetze und das Strafrecht willkürlich zur Kriminalisierung von Menschenrechtsverteidiger*innen einsetzen, zu sanktionieren;
- sollte in allen Bereichen der zuständigen öffentlichen Institutionen für ausreichende Kenntnisse über die Prinzipien des fairen Prozesses sowie ein kontinuierliches Monitoring ihrer Umsetzung gesorgt werden.
- durch ihre Außenvertretungen oder bei Besuchen hochrangiger Regierungsvertreter*innen in den zentralamerikanischen Ländern Aktionen zur Unterstützung und zu Anerkennung der Arbeit von Menschenrechtverteidiger*innen stattfinden;
- eine laufende Kommunikation zwischen Menschenrechtsverteidiger*innen und ihren Organisationen, Diplomat*innen und Regierungen stattfindet, um die bestehenden Unterstützungsnetzwerke zu stärken und auszuweiten
- im Dialog mit den zentralamerikanischen Partnerländern die Sorge um kriminalisierte Menschenrechtsverteidiger*innen zum Ausdruck gebracht wird;
- flexible Strategien entwickelt werden, um die finanzielle Unterstützung von Menschenrechtsverteidiger*innen, deren Organisationen administrativen Sanktionen und Kontrollen ausgesetzt sind, zu gewährleisten;
- vor Ort ein (gegebenenfalls gemeinsamer internationaler) Notfonds eingerichtet wird, um kriminalisierten Menschenrechtsverteidiger*innen bei der Bewältigung von Prozesskosten zu unterstützen;
- den Familien kriminalisierter Menschenrechtsverteidiger* innen und auch den Gruppen oder Organisationen, denen sie angehören, Unterstützung zukommt, zum Beispiel im Rahmen von Schutzprogrammen wie der Elisabeth-Selbert-Initiative;
- Fällen von Kriminalisierung besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird, zum Beispiel durch Prozessbeobachtung, Gefängnisbesuche oder Besuche in Regionen oder bei Organisationen, in denen Menschenrechtsverteidiger*innen kriminalisiert werden;
- Mittel zur Verfügung gestellt werden, um die Möglichkeiten von Nichtregierungsorganisationen zu verbessern, Fälle von Kriminalisierung systematisch zu dokumentieren und auszuwerten;
- die neulich ratifizierte ILO-Konvention 169 über die Rechte indigener Völker auch im Rahmen der extraterritorialen Staatenpflichten konsequent umgesetzt wird.