El Salvador

Urlaubsparadies am Abgrund

Entspanntes Flanieren in der Hauptstadt, beängstigende Gewalt auf dem Land. Verzweifelte Armut bei Fabrikarbeiter*innen, prunkvolle Luxus-Apartments für Reiche. El Salvador präsentierte sich Ende 2024 während unserer Reise zu CIR-Partnerorganisationen erneut als Land der harten Gegensätze.

17. März 2025

Apartments in Surf City können sich nur die Wohlhabenden leisten. In den ländlichen Gebieten El Salvadors herrschen Armut und Gewalt. (Foto: CIR)

Das alles bestimmende Thema in El Salvador ist der seit drei Jahren andauernde Ausnahmezustand. Grundlegende Rechte werden ausgehebelt, es herrscht die reine Willkür. Wer im oftmals unbegründeten Verdacht steht, eine Straftat begangen zu haben, oder auch nur in einen Autounfall verwickelt wird, kann ohne Anklage zwei Jahre in Untersuchungshaft verschwinden. Die Zustände in den überfüllten Gefängnissen sind katastrophal. So schüchtert Präsident Nayib Bukele das ganze Land ein.

Ruhe in der Stadt, Krieg auf dem Land 

Gewählt wurde Bukele einst für sein Versprechen, die tödliche Bandenkriminalität in den Griff zu bekommen. In den Städten hat er Wort gehalten. Spaziergänge durchs einst verrufene Zentrum San Salvadors sind sogar nachts gefahrlos möglich. Die Bevölkerung genießt dieses enorme Plus an Lebensqualität. Bis Mitternacht strömen die Massen über die zentralen Plätze.

Neben dem renovierten Nationalpalast findet sich ein neuer Park mit Springbrunnen und vor der Kathedrale eine kleine Basketball-Arena mit Tribüne, in der jugendliche Teams um den Ball kämpfen. Gleich daneben steht das hell erleuchtete Prunkstück: die neue Nationalbibliothek BINAES, erbaut und finanziert von China. Salvadorianer*innen und Tourist*innen wuseln die Treppen hinauf und hinunter. Man kann kostenlos Videogames spielen oder in Reiseführern und Fantasy-Romanen blättern. Kritische Literatur, die zum Nachdenken anregt, gibt es allerdings nicht. Brot und Spiele ja, aber bitte keine Bildung!

In den ländlichen Gebieten hingegen herrscht das Militär mit Gewalt. Es umstellt ganze Kleinstädte und durchkämmt sie tagelang, Hütte für Hütte. Wer verdächtig wirkt oder einfach Pech hat, wird als Bandenmitglied verhaftet. Mittlerweile beläuft sich die Zahl auf 80.000 Verhaftete. Übergriffe häufen sich, die Zahl der Vergewaltigungen und Teenagerschwangerschaften ist deutlich gestiegen. Eine Frau erzählt uns: „Früher hatten wir vor den Maras (Banden, Anm. d. Red.) Angst, heute vor dem Militär.“

Die Schere geht weiter auseinander 

Die Armut wächst wieder, auch aufgrund der enorm gestiegenen Lebenshaltungskosten. Der Mindestlohn in einer Maquila, einer Weltmarktfabrik für Bekleidung, beträgt 365 US-Dollar im Monat. Der erweiterte Warenkorb für eine Familie kostet 900 US-Dollar. Selbst bei zwei Verdiener*innen bedeutet dies ein Leben in Armut. Noch verzweifelter ist die Situation für Tagelöhner*innen auf dem Land: Sie verdienen pro Tag zwischen sechs und zehn US-Dollar.

Gleichzeitig breitet sich die funkelnde Welt der Wohlhabenden unaufhaltsam aus. In der Hauptstadt und an der Küste, speziell bei Bukeles Surf-City-Projekt La Libertad, herrscht ein regelrechter Bauboom. Apartments werden noch vor Fertigstellung für 250.000 US-Dollar und mehr verkauft. Ab 500.000 US-Dollar ist der Erwerb sogar steuerfrei. Für die Bauprojekte, die meist als „Tourismusförderung“ deklariert sind, werden Agrarkooperativen und Landwirte enteignet. Neubauten nehmen keine Rücksicht auf ökologische Belange. Protest dagegen wäre lebensgefährlich.

El Salvador ist an der Grenze zur Überschuldung, die Verschuldung hat unter Bukele drastisch zugenommen. Bei einem Gesamthaushalt von etwa neun Milliarden US-Dollar muss das Land 2025 drei Milliarden an Zinsen für Kredite bezahlen. Bei vielen Ministerien gab es schmerhafte Kürzungen, die die Ärmsten am härtesten treffen. So bekommt das bereits unterfinanzierte Gesundheitsressort 155 Mio. US-Dollar weniger, dem Erziehungsministerium fehlen 34 Mio. und dem Landwirtschaftsministerium 68 Mio. US-Dollar. 

Die Zivilgesellschaft wehrt sich – mit Erfolg! 

Trotz der repressiven Bedingungen arbeiten die Partnerorganisationen der CIR weiter, viele von ihnen sind ans Kämpfen gewöhnt. So hat eine landwirtschaftliche Organisation erreicht, dass auf besetztem Land, das über 100 Familien eine Heimat bietet, Strom verlegt wurde. Eine enorme Erleichterung ihres Alltags! Und dank eines BMZ-geförderten Projekts der CIR konnten 50 Besitztitel für Land an die Bewohner*innen übertragen werden. Dies erhöht den Schutz vor Vertreibung deutlich. Eine andere CIR-Partnerorganisation hat es geschafft, dass entlassene Maquila-Arbeiterinnen wieder eingestellt und entschädigt wurden.

Zahlreiche Organisationen lassen sich nicht mundtot machen. Eine juristische Vereinigung erklärt in Faltblättern, warum der Ausnahmezustand ein Verfassungsbruch ist. Eine andere Organisation analysiert die desaströsen Wirtschaftszahlen der Regierung auf verständliche Weise und leistet so wichtige Aufklärungsarbeit gegen die von Bukele dominierten Medien und das Bild vom „Paradies El Salvador“ in den sozialen Netzwerken.

Die Verwundbarsten als Maßstab 

Auch wenn sich die Sicherheitslage vordergründig verbessert hat: Über jedem Menschen in El Salvador schwebt das Damoklesschwert einer willkürlichen Verhaftung oder Gewaltanwendung durch die Staatsorgane – von den enormen Teuerungsraten und dem Ausbluten des Gesundheits- und Bildungssektors ganz zu schweigen.

Die Mitarbeiterin einer basiskirchlichen Organisation bringt es auf den Punkt: „Keine Maßnahme mit noch so positivem Effekt kann Ungerechtigkeiten entschuldigen.“ Recht muss immer daran gemessen werden, ob die Verwundbarsten Zugang dazu haben. Dies ist in El Salvador aktuell nicht der Fall.

Porträt von Maik Pflaum

Ich bin für Ihre Fragen da:

Maik Pflaum
Bereichsleitung Ausland, Referent für El Salvador, Kleidung, Spielzeug
pflaumnoSpam@ci-romero.de
Telefon: 0911 - 214 2345