Mittelamerika

El Salvador: Hip oder Hölle?

Der langjährige El Salvador-Referent der CIR Maik Pflaum konnte nach über zwei Jahren Corona-Pause endlich wieder in das kleine mittelamerikanische Land reisen und die Partner*innen der CIR besuchen. Seine Eindrücke schildert er in diesem Artikel.

In El Salvador werden im Ausnahmezustand tausende Menschen im Namen der Sicherheit inhaftiert.
Foto: CIR

Seit Jahren belegt El Salvador, das gerade mal so groß ist wie Hessen, weltweit einen Spitzenplatz in Sachen Gewalt und Mord. Kriminelle Jugendbanden haben das Land unter sich aufgeteilt und verteidigen ihre Territorien mit größter Brutalität. Dutzende Tote an einem Wochenende sind keine Seltenheit.

Doch seit 2019 regiert der junge, reiche Präsident Nayib Bukele, der weder rechts noch links sein will, El Salvador. Er lenkt das Land via Facebook und Twitter. Als es im März 2022 innerhalb von drei Tagen zu einer besonders brutalen Mordserie mit 87 Toten kam, verhängte Bukele einen einmonatigen Ausnahmezustand, der bis heute immer wieder verlängert wurde, obwohl dies laut Verfassung nur einmal erlaubt ist. Doch das kümmert den Präsidenten nicht. Was Recht ist, definiert er – und missbraucht dafür regelmäßig seine absolute Mehrheit im Parlament. Das Militär, das er stetig aufrüstet, weiß er treu hinter sich.

Kampfansage an die Banden

Bukeles Armee führt einen erbitterten Kampf gegen die Banden. 65.000 Menschen landeten seit März 2022 in den ohnehin schon überfüllten Gefängnissen. Dass viele Unschuldige darunter sind, kümmert Bukele nicht. Ihnen werden elementare Rechte vorenthalten. Wer krank ist, schwebt in Lebensgefahr, da eine medizinische Betreuung de facto nicht existiert. Nicht einmal die Versorgung mit Medikamenten für chronisch Kranke ist gesichert. Die Angehörigen müssen für Gefängniskleidung und Nahrungsmittel sorgen. Ob die Sachen bei den Gefangenen ankommen, weiß jedoch niemand. Besuche werden nicht zugelassen.

Trotzdem kommt Bukele bei der Bevölkerung gut an. Umfragen sprechen von 80 Prozent Zustimmung. In den sozialen Medien ist er omnipräsent – und lässt das Land vom Fortschritt träumen. El Salvador hat als erstes Land der Welt im September 2021 die Digitalwährung Bitcoin zur Landeswährung gemacht, obwohl hier viele Menschen weder einen Computer noch einen Zugang zum Internet haben. Für Bitcoin-Fans aus aller Welt ist El Salvador hip – und Bukele ihr Prophet. Einer der bekanntesten Reiseführer der Welt, der Lonely Planet, hat El Salvador zu den Top-Reisezielen 2023 erklärt.

Alles so schön bunt hier?

Eine andere Skurrilität ist die Tierklinik ChivoPet, deren moderne Ausstattung die aller staatlichen Krankenhäuser übertrifft. Während für krebskranke Salvadorianer*innen die Medizin fehlt, hat ChivoPet modernste Apparate zum Röntgen, für MRTs und vieles mehr. Selbst aufwändige Behandlungen kosten nur wenige Cents, die allerdings digital und in Bitcoin zu zahlen sind. Das schließt einen Großteil der Bevölkerung aus.

Eine neue Tierklinik mit besseren Standards als in Krankenhäusern für Menschen, während ein Großteil der Bevölkerung in Hütten lebt, ohne fließendes Wasser. Ein weiteres Paradoxon unter der Bukele-Regierung.
Foto: CIR

Neben Millionen fürs Militär verplant Bukele Unsummen für weitere Großprojekte, darunter ein zweiter Flughafen, eine Pazifik-Bahnlinie entlang der Küste, ein neues Fußballstadion und ein neues Gefängnis für 40.000 Insassen. Expert*innen warnen unterdessen angesichts der hohen Verschuldung El Salvadors vor einer Zahlungsunfähigkeit. Allein die Einführung der Bitcoin-Währung soll laut Internationalem Währungsfonds 250 Millionen Dollar verschlungen haben.

Die arme Bevölkerung wird abgehängt

El Salvador ist das Land der Gegensätze. Am Meer entstehen touristische Zentren, die Welt kommt zum Surfen vorbei. Strandgrundstücke für Apartments und Villen werden zu Preisen wie in Europa gehandelt. Gleichzeitig leben auf dem Land noch immer viele Menschen ohne Latrinen und ohne fließendes, sauberes Wasser. Ohne feste Arbeit und ohne Sozialversicherung. Ohne Zugang zu einem Bildungssystem, das Chancen für ein besseres Leben eröffnen könnte.

Und Bukele sägt weiter an den wenigen Lichtblicken. Der staatlichen Universität El Salvadors UES wurde das ohnehin knappe Budget gekürzt. Sie ist für die Armen die einzige Hoffnung auf ein vernünftiges und erschwingliches Studium. Doch die UES ist traditionell kritisch und autonom verwaltet – das ist einem Alleinherrscher, der keinerlei Kritik duldet, natürlich ein Dorn im Auge.

Keine Krankheit dauert 100 Jahre

Die Regierung hat keinen Plan, wie sie die Misere der armen Bevölkerung verbessern will. „Niemand versucht die Probleme strukturell zu verändern. Es werden immer nur Strafen erhöht. Gibt es z.B. viele Verkehrstote, heißt es: ‚Erhöhen wir die Strafen!‘ Dieses Schubladendenken muss sich ändern!“, so der Anwalt einer CIR-Partnerorganisation. Gerade für männliche Jugendliche und junge Männer ist die aktuelle Situation verheerend. Sie stehen unter Generalverdacht, Bandenmitglieder zu sein. Tausende sind schon in den Gefängnissen verschwunden. Die Leiterin einer Frauenorganisation berichtet, dass viele Frauen vor den Gefängnissen warten, im Regen, im Sturm, in der Sonne, ohne jeden Schutz, um herauszubekommen, wo ihre Männer bzw. Familienangehörigen sind.

Während der internationale Tourismus floriert, bleibt die Bevölkerung El Salvadors auf der Strecke.
Foto: CIR

Die zivilgesellschaftlichen Organisationen, die die CIR unterstützt, arbeiten unterdessen weiter, versuchen dabei aber, weniger aufzufallen. Sie arbeiten mit kleineren Gruppen, weil ein Großteil der Bevölkerung sich von Bukele blenden lässt. Doch sein Ruhm wird bröckeln, so die Prognose einer Gewerkschafterin. Die Angehörigen der 65.000 Verhafteten erfahren schmerzhaft, wofür das Regime steht. „Sie werden nie mehr für Bukele stimmen.“ Der Mitarbeiter einer Landarbeiterorganisation, der in den 80er Jahren in der Guerilla kämpfte, ergänzt: „Keine Krankheit dauert 100 Jahre.“ Bis es soweit ist, schulen und organisieren sie die Landarbeiter*innen.

Der Vorstand einer basiskirchlichen Organisation erklärt: „Wir setzen auf politische Bildung. Wir organisieren Kurse zur Verteidigung der Menschenrechte und haben gelernt, dass auch wir Verteidiger*innen der Menschenrechte sind. Wir organisieren die Gemeinden. Sie müssen die Protagonist*innen des Wandels sein. Organisationen können verschwinden – die Gemeinden nicht, wenn ihr politisches Bewusstsein geschärft ist.

Weitere Links

Der Artikel stammt aus dem CIR-Magazin „presente“. Zur ganzen Ausgabe 1-2023 geht es hier.

Porträt von Maik Pflaum

Ich bin für Ihre Fragen da:

Maik Pflaum
Bereichsleitung Ausland, Referent für El Salvador, Kleidung, Spielzeug
pflaumnoSpam@ci-romero.de
Telefon: 0911 - 214 2345