Lebensmittel

Moderne Ausbeutung: Arbeitsquarantäne nach Corona-Ausbruch auf Spargelhof

Seit Beginn der Pandemie warnten Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen vor der Gefahr des Corona-Massenausbruchs in Erntebetrieben. Der Fall Thiermann zeigt, warum.

Verbundenes Männlichkeits- und Weiblichkeitssymbol in einer Tag-Cloud

Foto: Matthias Böckel/Pixabay

Auf dem Hof Thiermann in Niedersachsen, einem der größten Spargelhöfe Deutschlands, ist es zu einer Massenansteckung mit dem Corona-Virus gekommen. Verschiedene Medien berichten, dass sich 130 Beschäftigte infiziert haben – 1.000 Mitarbeiter*innen befinden sich nun in einer Arbeitsquarantäne.

Das Virus konnte sich offenbar über mehrere Wochen unbemerkt ausbreiten, da das Unternehmen auch nach Auftreten der ersten Fälle die Saisonarbeiter*innen nicht durchgetestet hat. Getestet wurde erst Wochen später – zu spät um eine Ausbreitung zu verhindern. Zudem waren die Schutzmaßnahmen scheinbar unzureichend. Es gibt Berichte über schwere Verläufe und Krankenhausaufenthalte – der Hof Thiermann schweigt bislang zu den Vorwürfen.

Arbeiter*innen dürfen das Haus nur zum Arbeiten verlassen

Die vorwiegend aus Osteuropa stammenden Beschäftigten dürfen während ihrer so genannten Arbeitsquarantäne ihre Unterkünfte jetzt nur noch verlassen, um tagsüber Spargel auf den Feldern zu stechen. Nach verrichteter Arbeit werden sie sofort wieder in ihre überfüllten Unterkünfte zurück gebracht. Viele von ihnen hätten Angst vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus, heißt es. Auch zurück in ihre Heimat dürfen die Arbeiter*innen aufgrund der Quarantäne nicht. Der Streikversuch einiger polnischer Arbeiter*innen blieb erfolglos, die Verzweiflung groß.

Fehlender Schutz für Erntehelfer*innen auf deutschen Feldern

CIR-Referent für Menschenrechte und Klimaschutz in Agrarlieferketten Dominik Groß: „Verantwortlich für diese unhaltbaren Zustände sind der Hof Thiermann selbst, aber auch die Behörden, die offenbar nicht in der Lage oder willens sind, Schutzmaßnahmen durchzusetzen. Es offenbart sich einmal mehr, dass bestehende Gesetze die Arbeiter*innen in unseren Lebensmittellieferketten nicht schützen. So ist im Fall Thiermann nicht einmal klar, ob für alle Beschäftigten eine Krankenversicherung abgeschlossen wurde. Doch statt nachzubessern, nimmt in diesen Tagen eine Änderung im Sozialgesetz die letzten Hürden, die die Rechte von Saisonarbeitskräften weiter aushöhlt. Unsicherheiten und Ausbeutung werden dadurch zunehmen!“

Problematisch: Gesetzesänderung verschärft die Notlage

Die Gesetzesänderung im Sozialgesetzbuch wird derzeit auf Drängen der Landwirtschaftsverbände vom Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft unter Bundesministerin Julia Klöckner vorangetrieben und wurde bereits in Bundestag und Bundesrat beschlossen. Ab sofort soll gelten, dass Menschen 102 statt 72 Tage sozialversicherungsfrei auf deutschen Feldern arbeiten dürfen. Arbeitgeber*innen müssen indes erst ab 2022 nachweisen, dass ihre Beschäftigten krankenversichert sind. „Und auch dann können sich die Betriebe mit billigen Gruppenversicherungen freikaufen“ so Groß. „Insgesamt ist die Gesetzesnovelle ein Schlag ins Gesicht für die Erntehelfer*innen auf Deutschlands Feldern. Was es bräuchte ist der Nachweis über eine gesetzliche Krankenversicherung – und zwar ab sofort! Es ist außerdem dringend erforderlich, dass bestehende Regeln, die dem Schutz von Arbeiter*innen dienen, durchgesetzt werden: Durch verstärkte Kontrolle der Betriebe und konsequente Sanktionierung von Verstößen.“

Das muss sich ändern!

Um Fälle wie auf dem Hof Thiermann zu verhindern, müssen mittelfristig faire Löhne, menschenwürdige Unterbringung und soziale Absicherung zum Standard in der Lebensmittelbranche werden. Der Weg dahin erscheint angesichts immer neuer Skandale allerdings noch weit. Bis dahin bleibt Verbraucher*innen nur, sich über die Herkunft ihrer Produkte zu informieren.

Lieferkettengesetz als Lösung?

Betriebe wie der Spargelhof Thiermann, der auch große Supermärkte beliefert, werden im aktuellen Gesetzentwurf des geplanten Lieferkettengesetzes nicht erfasst: Dafür sind zu wenige Mitarbeitende dort beschäftigt. Doch die Landwirtschaft ist ein Sektor mit besonderen menschenrechtliche Risiken. Die CIR fordern daher eine Ausweitung der Gültigkeit des Lieferkettengesetzes auf alle landwirtschaftlichen Betriebe.

Weitere Informationen dazu findet ihr hier:

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Ansprechpartner_Dominik_Gross

Ich bin für Ihre Fragen da:

Dominik Groß
Referent für Menschenrechte und Klimaschutz in Agrarlieferketten
grossnoSpam@ci-romero.de
Telefon: 0251 - 674413-43