„Wir sind die größten Kritiker von Zertifizierungen!“
Luís Fernando Guedes Pinto, Imaflora.
Luís Fernando Guedes Pinto leitet die Agrarabteilung beim brasilianischen Institut für Wald- und Agrarbewirtschaftung und Zertifizierung, Imaflora.
Wir haben 2013 eine Studie zu den Arbeitsbedingungen in der Lieferkette von Orangensaft veröffentlicht. Seither hat sich der Anteil von zertifiziertem Saft in Europa und vor allem in Deutschland erhöht. Hat dies zu Veränderungen geführt?
Dies war wirklich ein Erfolg. Dass sie hier mit der Staatsanwaltschaft die Probleme angegangen sind und eine Kampagne gemacht haben, hat zu Veränderungen geführt. Definitiv. Die Leute sind noch immer keine Engel. Die unterschiedlichen Strategien der Zivilgesellschaft können aber zu einer Lösung führen. Wenn wir unterschiedliche Hebel kombinieren, den Protest mit dem Dialog, wird es interessant; besonders in Deutschland, dem wichtigsten Markt in Europa.
Was ist die Rolle von Imaflora dabei?
Normalerweise besuchen wir die Plantage mit vier Auditor*innen: Zwei für Soziales, zwei für Umweltfragen. Als erstes prüfen wir die Dokumente, dann geht es aufs Feld, um zu prüfen, ob die Angaben auch stimmen. Als drittes folgen Interviews.
Mit wem führen sie Gespräche?
Mit den Verantwortlichen, aber auch mit den Arbeiter*innen – von den Traktorfahrer*innen bis zu den Pflücker*innen. Dann fragen wir etwa: Dona Maria Franziska, wieviel Stunden hast du heute gearbeitet? Was musstest du machen? Wurden deine Überstunden gezahlt? Wir gehen zurück ins Büro und überprüfen, ob die Aussagen mit den Dokumenten übereinstimmen. Dann gibt es einen internen Austausch zwischen den Auditor*innen und einen ersten Vorbericht, den die Unternehmen kommentieren. Dann landet alles auf meinem Tisch. Ich empfehle, das Zertifikat zu vergeben oder nicht.
Was sind die größten Herausforderungen beim Anbau von Orangen?
Der Sektor ist sehr komplex. Da arbeiten extrem viele Leute, darunter ein relativ hoher Anteil an Leiharbeiter*innen und Migrant*innen. Das birgt enorme soziale Risiken. Sowohl für die Arbeiter*innen als auch für die Umwelt sind die Risiken so hoch wie bei keinem anderen Produkt. Das liegt auch an dem massiven Einsatz von Agrarchemikalien wie etwa Fungiziden. Den Pilz in Zaum zu halten (Greening), gleicht einer militärischen Operation.
Werden die Ergebnisse ihrer Untersuchungen veröffentlicht?
Eine Regelung von Rainforest Alliance beispielsweise ist, dass die Zusammenfassung veröffentlicht wird. Diese finden sie dann auf unserer Webseite. Es stehen dort auch Dinge, die auf der Plantage nicht eingehalten werden.
Hand aufs Herz, bringen Nachhaltigkeitszertifikate wirklich etwas?
Wir sind die größten Kritiker von Zertifizierungen und damit auch von unserer eigenen Arbeit. Weil wir genau das wissen wollen: Was bewirken wir mit unserer Arbeit? Wir geben dazu Studien in Auftrag. Ein wichtiges Korrektiv ist aber auch die Zivilgesellschaft. Ohne sie funktioniert es nicht – zumindest nicht so gut, wie es sollte. Die Zivilgesellschaft muss die Zertifikate vorantreiben. Zertifikate können einiges verbessern, aber nicht alles.
Was empfehlen sie deutschen Supermärkten?
Kaufen sie möglichst gut zertifizierte Produkte! Es macht einen Unterschied – hier in Brasilien. Es verbessert die Lebensbedingungen der Menschen. Sie sind verantwortlich!
Was empfehlen sie Konsument*innen?
Fragen sie nach, wo z.B. Ihr Orangensaft herkommt und was drin steckt, am besten direkt im Supermarkt. Wer garantiert mir, dass der Saft nachhaltig ist? Informieren sie sich über Zertifikate: Gibt es für mein Produkt ein Zertifikat? Was kann dies leisten und was nicht.
Ich bin für Ihre Fragen da:
Sandra Dusch Silva
Referentin für nachhaltige Lieferketten und Kleidung
dusch @ci-romero.de
Telefon: 030 - 41723800
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