In den letzten Tagen taten sich Vertreter*innen aus Agrarindustrie und Politik mit Vorschlägen hervor, angesichts des Ukraine-Krieges Beschränkungen, inklusive ökologischer Schutzmaßnahmen, abzubauen. Sogar die „Farm2Fork“-Strategie, mit der die EU die europäische Landwirtschaft binnen zehn Jahren umweltfreundlich und sozial umbauen will, wird in Frage gestellt. Anlass für diese Überlegungen ist die Verknappung von Agrarprodukten wie Weizen, Pflanzenöl und Soja im Zusammenhang mit dem Krieg (wir berichteten). Das Ziel solcher Vorstöße ist es, noch schneller und noch mehr zu produzieren, damit „der Westen“ sich selbst und die Welt gleich mitversorgen kann. Klar ist, dass den akuten, kriegsbedingten Hungerkrisen kurzfristig, schnell und durch unbürokratische Hilfen begegnet werden muss. Aber die Lösung des Problems darf langfristig nicht sein, Errungenschaften über den Haufen zu werfen, die zum Teil erst vor wenigen Monaten in die deutsche und europäische Agrarpolitik Einzug fanden: Bei Klima- und Umweltschutz, Tierwohl und Menschenrechten darf es keine Abstriche geben.
Was die betroffenen Produkte gemeinsam haben, ist die Ausrichtung ihrer Lieferketten auf den globalisierten Markt. Abhängigkeiten und Ungleichheiten, die der Weltmarkt verursacht hat, werden jetzt überdeutlich. Ungeplante Ausfälle wirken hier wie Schocks. Denn seit Jahrzehnten wird so produziert, dass sich die Produktion bestimmter Lebensmittel auf wenige Länder konzentriert, die diese Lebensmittel wiederum im Überschuss herstellen. In der Folge wurden viele regionale Märkte zerstört oder sie konnten sich gar nicht erst entwickeln. Angesichts der Klimakrise ist zu befürchten, dass die Schocks in Zukunft heftiger und zahlreicher werden. Deshalb sollte jetzt die Frage im Zentrum stehen, wie es gelingen kann, langfristig weltweit dezentrale Ernährungssysteme aufzubauen, um Abhängigkeiten zu verringern. Dazu müssen, vor allem im Globalen Süden, lokale Märkte gestärkt werden. Insbesondere agrarökologische Anbauweisen bieten eine widerstandsfähige Alternative zur industriellen Landwirtschaft.
Der größte Anteil von Pflanzenöl, Mais und Co. wird in den Industrienationen nicht vom Menschen verzehrt, sondern endet stattdessen in den Futtertrögen von Tierfabriken oder im Tank von Autos und Lastkraftwagen. Wo Pflanzen für Futtermittel und Treibstoff wachsen, fehlt der Platz für den Anbau von Lebensmitteln, die uns ohne Umwege zugute kommen. Das bedeutet im Umkehrschluss: Wenn wir weniger Fleisch konsumieren, wird weniger produziert und es bleibt mehr Fläche für unsere Nahrungsmittel. Dies dann aber zu deutlich besseren Bedingungen für Mensch, Tier und Umwelt. Auch das Verbrennen von Lebensmitteln zur Energiegewinnung ist ein Luxus, den wir uns nicht mehr leisten dürfen: Es braucht eine Abkehr von Agrotreibstoffen, die nur mit einer breit angelegten Mobilitäts- und Energiewende zu schaffen ist.
Sowohl die EU als auch die Bundesregierung haben mit ihren Vorhaben (u.a. Farm2Fork-Strategie, Eiweißpflanzenstratgie) bereits vor dem Krieg in der Ukraine den Grundstein für eine Agrarwende gelegt. Die durch den Krieg ausgelöste Krise in den globalen Lebensmittellieferketten sollte sie darin bestärken, diese Vorhaben wie geplant umzusetzen oder ihre Anstrengungen und das Tempo sogar noch zu erhöhen.
Ich bin für Ihre Fragen da:
Dominik Groß
Referent für Menschenrechte und Klimaschutz in Agrarlieferketten
gross @ci-romero.de
Telefon: 0251 - 674413-43
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