September 2021
Nachdem in Deutschland im Frühjahr 2021 ein Lieferkettengesetz verabschiedet wurde, richten wir nun gespannt unseren Blick nach Brüssel. Dort arbeiten die EU-Kommissare Didier Reynders (Justiz) und Thierry Breton (Binnenmarkt) an einem ähnlichen Gesetzesvorschlag zu menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten von Unternehmen für ihre Wertschöpfungsketten. Der Entwurf, zunächst angekündigt für Juni 2021, dann auf Ende Oktober verschoben, soll nun im Dezember veröffentlicht werden. Dieser Vorstoß auf europäischer Ebene bietet die Chance, die Stärken nationaler Gesetze in einer einheitlichen EU-weiten Regulierung aufzunehmen und die Schwächen zu korrigieren.
Der Lebensmittelbereich ist besonders gefährdet für Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung. Immer wieder verlagern multinationale Unternehmen im Agrar- und Lebensmittelsektor die negativen Folgen ihrer Aktivitäten an das Ende ihrer Lieferketten:
Diese Menschen haben gemeinsam, dass sie meist keine Chance haben, zu ihrem Recht zu kommen oder gar für Gerechtigkeit zu plädieren, da es keine relevanten Gesetze gibt. Gleichzeitig wollen die meisten Menschen keine Lebensmittel kaufen, in denen Ausbeutung und Landraub stecken. Das Gesetz muss daher auch dazu beitragen, dass Verbraucher*innen bei ihrem Einkauf im Supermarkt nicht länger vor die falsche Wahl gestellt werden. Denn Menschenrechte, der Schutz unserer Umwelt und des Klimas sind nicht verhandelbar.
Das EU-Lieferkettengesetz muss den Agrar- und Lebensmittelsektor als Risikosektor aufnehmen, damit alle Unternehmen in globalen Lebensmittellieferketten, egal wie groß oder klein sie sind, Verantwortung übernehmen und für ihr Verhalten haftbar gemacht werden können. Die Betroffenen brauchen Zugang zu Gerichten und Wiedergutmachung für die Menschenrechtsverletzungen, die ihnen angetan wurden.
Ein solches Gesetz bietet außerdem die Chance, die gesetzlichen Vorgaben für Unternehmen in allen Mitgliedsstaaten zu harmonisieren und so gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle zu schaffen. Unternehmen könnten sich dann die aktuell vorherrschende Untätigkeit bei Problemen entlang ihrer Lieferketten nicht mehr erlauben.
Wenn die EU tatsächlich ihre enorme Marktmacht für die Verbesserung der Produktionsbedingungen weltweit nutzen will, muss sie in einem gemeinsamen Lieferkettengesetz die Stärken der Gesetze der Mitgliedsstaaten aufnehmen und ihre Schwächen korrigieren. Diese Elemente der nationalen Gesetze sollten dabei übernommen werden:
Diese Schwächen des deutschen Gesetzes müssen korrigiert werden:
Unsere Videorecherchen haben die zerstörerischen Auswirkungen von globalen Lebensmittellieferketten in der Palmölproduktion in Guatemala gezeigt. In einer weiteren Recherche konnten wir Verknüpfungen von dortigen Palmölunternehmen zum deutschen Supermarkt Edeka feststellen. Auf den Plantagen gab es Arbeiter*innen ohne Arbeitsverträge, unrechtmäßigen Entlassungen sowie Lohnzahlungen unterhalb des Mindestlohns. Außerdem wurden die illegale Aneignung von Flächen, Entwaldung sowie Zerstörung von Ökosystemen aufgedeckt. Auf unsere kritische Nachfrage bekamen wir folgende Rückmeldung von Edeka:
„Durch regelmäßige Monitorings aufgedeckter Verbesserungsbedarf ist dem Unternehmen bekannt und hat bereits zu Konsequenzen geführt. Bitte haben Sie aber Verständnis dafür, dass wir zu den von Ihnen konkreter hobenen Vorwürfen selbst keine Stellung nehmen können. Bitte wenden Sie sich hier direkt an den Hersteller.”
Was würde in diesem Fall ein ambitioniertes Lieferkettengesetz bewirken und welche Elemente sind wichtig?
Die Verantwortung für die negativen Auswirkungen der Palmölproduktion, wie Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen in Guatemala, sieht Edeka offensichtlich in erster Linie bei den Zulieferern. Ein Lieferkettengesetz, das die gesamte Lieferkette umfasst, würde Edeka stärker in die Verantwortung nehmen und muss die gesamte Wertschöpfung des Unternehmenns betreffen. Das Unternehmen müsste sich direkt für die aufgezeigten Menschen- und Umweltrechtsverletzungen verantwortlich zeigen und seine eigene Einkaufspolitik fortan auf menschenrechtliche Risiken überprüfen. Dementsprechend müsste Edeka, wie in unserem Fallbeispiel, von seinem Zulieferer Vandermoortele die Umsetzung von Sorgfaltsmaßnahmen einfordern und diese auch überprüfen.
Der Palmölsektor zeigt außerdem, dass die freiwilligen CSR-Maßnahmen („Corporate Social Responsibility“) der Unternehmen nicht weit genug reichen, um Produktionsstandards zu verbessern. Einige der Plantagen waren zum Zeitpunkt der Untersuchung Mitglieder beim RSPO (Roundtable on Sustainable Palm Oil), der sich für nachhaltigen Palmölanbau einsetzt. Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen Umweltstandards finden jedoch weiterhin in den Lieferketten der zugehörigen Unternehmen statt. Oft reagieren solche freiwilligen Initiativen, zu denen der RSPO zählt, nur auf existierende Probleme, anstatt deren Ursachen zu beseitigen. Ein ambitioniertes europaweites Gesetz würde den Unternehmen verpflichtende Mindeststandards vorschreiben. Sie könnten sich nicht mehr hinter intransparenten und wenig wirksamen Unternehmensinitiativen und Labels verstecken.
Mehr zu glaubwürdigen und problematischen Labels erfahrt ihr übrigens in unserem Labelguide.
Derzeit ist es für die betroffenen Menschen in Guatemala nahezu unmöglich, ihre Rechte einzuklagen. Wegweisend für das Gesetz ist daher eine zivilrechtliche Haftung – dies bedeutet, dass Betroffene oder ihre Angehörigen auch vor europäischen Gerichten Entschädigung einklagen können, wenn ein Unternehmen seinen Sorgfaltspflichten nicht nachgekommen ist. Wichtig ist dabei, dass die Beweislast bei den Unternehmen liegt und nicht den Opfern. Das heißt, nicht die Arbeiter*innen oder von Umweltauswirkungen Betroffene in umliegenden Gemeinden in Guatemala müssten Beweise aufzeigen, sondern Edeka und Vandermoortele müsste nachweisen, dass sie Sorgfaltsmaßnahmen durchgeführt haben und keine Verantwortung für die Missstände tragen.
Monokulturen wie Palmölplantagen werden oft auf Land angebaut, das im großen Maßstab von Unternehmen gekauft worden ist, ohne die lokale Bevölkerung adäquat einzubinden. Diese Menschen sind jedoch stark von den Umweltauswirkungen dieser Plantagen, wie Abholzung und Pestizideinsatz, betroffen. In Guatemala sind dies oft indigene Gemeinden, deren Rechte auf Zugang zu Wasser und Nahrung verletzt werden. Durch ein ambitioniertes Gesetz könnten nicht nur Entschädigungen oder die Rückgabe von Land erreicht werden, sondern auch dass Betroffene zukünftig besser vor Landgrabbing geschützt und in entsprechende Prozesse im Vorhinein aktiv einbezogen werden.
Ein ambitioniertes Gesetz würde außerdem dazu beitragen, dass die Unternehmen Verantwortung dafür tragen, dass Arbeiter*innen auf den Palmölplantagen existenzsichernde Löhne erhalten, sie sich vereinigen und in Gewerkschaften zusammenschließen könnten, Arbeits- und Gesundheitsschutzmaßnahmen eingehalten werden und besonders verwundbare Gruppen wie Migrant*innen und Frauen* besonderen Schutz erhalten.
Unsere europaweite Kampagne “Our Food. Our Future” setzt sich für den nachhaltigen Wandel des Ernährungssystems und faire Agrarlieferketten ein, um globale Probleme wie Klimawandel und Migration weltweit zu bekämpfen. Das System hat enormen Einfluss auf Ursachen wie Umweltzerstörung, Armut oder Vertreibung. Ein Dreh- und Angelpunkt für den Systemwandel ist die Schaffung fairer und nachhaltiger Agrar-Lieferketten, weshalb sich die Kampagne auf europäischer Ebene für das EU-Lieferkettengesetz stark macht.
Ich bin für Ihre Fragen da:
Christian Wimberger
Referent für Unternehmensverantwortung, Bergbau, öffentliche Beschaffung, Guatemala
wimberger @ci-romero.de
Telefon: 0251 - 674413-21
Ich bin für Ihre Fragen da:
Dominik Groß
Referent für Menschenrechte und Klimaschutz in Agrarlieferketten
gross @ci-romero.de
Telefon: 0251 - 674413-43
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