Öffentliche Beschaffung

Verantwortliche öffentliche Auftragsvergabe in Berlin

August 2019 / FAIRgabebündnis Berlin
Update April 2020

Einkaufswagen mit grünem "Alles OK"-Haken
Graphik: Marco Fischer

Novelliertes Vergabegesetz in Berlin verabschiedet

02.04.2020: Heute wurde das zweite Gesetz zur Änderung des Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetzes (Drucksache 18/2538 in der Fassung vom 06.03.2020) im Dringlichkeitsverfahren beschlossen. Wir begrüßen grundsätzlich die Entscheidung, das Gesetz in der aktuellen Corona-bedingten Situation schnell zu verabschieden. Hierdurch werden dringend notwendige öko-soziale Standards des öffentlichen Einkaufs und die Erhöhung des Mindestlohns auf 12,50 Euro festgeschrieben. Auch in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten darf auf öko-soziale Standards nicht verzichtet werden. Der Senat sollte jedoch sicherstellen, dass die im Dringlichkeitsverfahren ausgesetzten Verhandlungen über weitere Verbesserungen zeitnah nachgeholt werden.

Da das neue Gesetz hinsichtlich fairer und ökosozialer Kriterien verbesserungswürdig ist, haben sich drei Abgeordnete der Regierungskoalition (Georg Kössler von B’90/ Die Grünen, Daniel Buchholz von der SPD und Marion Platta von den Linken) bei der Abstimmung enthalten. Auch das FAIRgabe-Bündnis setzt sich nun weiter dafür ein, dass die Rechtsgrundlagen im Sinne einer nachhaltigen Vergabe weiterentwickelt und die geplanten sowie weitere strukturelle Maßnahmen zur praktischen Umsetzung in Berlin eingeführt werden.

Kompetenzstelle und Aktionsplan als erste konkrete Schritte – Berücksichtigung im Doppelhaushalt 2020/2021 | Politische Forderungen im Rahmen der Novellierung des Berliner Ausschreibungs- und Vergabegesetzes (BerlAVG)

Damit die Förderung sozialer, beschäftigungspolitischer und umweltbezogener Aspekte bei der Vergabe in Berlin gelingt, erachtet das FAIRgabe-Bündnis zwei begleitende Maßnahmen zur Umsetzung gesetzlicher Vorgaben als dringend notwendig und fordert deren Berücksichtigung im Doppelhaushalt 2020/2021:

Wir empfehlen die Einrichtung einer Kompetenzstelle und die Erstellung eines Aktionsplans für umweltfreundliche und sozial verantwortliche Beschaffung.

1. Kompetenzstelle für soziale, ökologische und faire Vergabe

Eine Kompetenzstelle ermöglicht

  • eine zielgerichtete Unterstützung und Beratung öffentlicher Auftraggeber in der praktischen Umsetzung einer nachhaltigen Beschaffung
    • durch die Bereitstellung von Informationen über glaubwürdige Nachweise, Schulungsangebote oder Unterlagen wie Musterausschreibungen, die den öffentlichen Auftraggebern eine soziale, ökologische und faire Vergabe erleichtern und
    • bei der Organisation von Bieterdialogen, um Ausschreibungskriterien praxisnah zu gestalten und Marktversagen zu vermeiden,
    • bei der Information über Tarifregelungen und sonstige beachtliche Sozialstandards im Geltungsbereich des BerlAVG
  • den einfachen Zugang zu vorhandenen Unterstützungs- und Beratungsangeboten bei der Erstellung von anwendungsbezogenen Ausschreibungen (wie beispielsweise rechtliche Beratung),
  • kompetente Beratung der Kontrollstelle und öffentlichen Auftraggeber bei der Bewertung eingereichter sozialer und ökologischer Nachweise und
  • eine enge Vernetzung und Wissensaustausch unter Verwaltungsmitarbeiter*innen, mit anderen Kommunen und der Berliner Zivilgesellschaft.

Darüber hinaus soll eine Kompetenzstelle

  • aktuelle Entwicklungen hinsichtlich der sozialen, ökologischen und fairen Vergabe stetig überprüfen und deren Weiterentwicklung unterstützen
  • in die Verfahrens- und Qualitätsentwicklung der öffentlichen Beschaffung bspw. durch die Mitwirkung bei der Erstellung von entsprechenden Verwaltungsvorschriften sowie der Erstellung des Vergabeberichts eingebunden werden
  • praxisnah angesiedelt werden, um eng mit den Verantwortlichen für Vergabe zusammen zu arbeiten und
  • eine enge politische Anbindung haben (z.B. in der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe), um politische Unterstützung für die Weiterentwicklung der sozial verantwortlichen und umweltverträglichen Vergabe zu haben.

Vorbilder für Kompetenzstellen für verantwortliche Beschaffung gibt es u.a.

  • seit 2019 in Schleswig-Holstein für nachhaltige Beschaffung auf Landes- und kommunaler Ebene,
  • seit 2018 in Ludwigsburg (angesiedelt in der Abteilung Zentrale Dienste; Ziel: Umsetzung der Dienstanweisung nachhaltige Beschaffung koordinierend zu begleiten) oder
  • seit 2016 in Bremen (angesiedelt bei zentraler Einkaufsstelle; Aufgaben: unterstützt und berät Vergabestellen bei Rahmenverträgen sowie Einkäufer*innen bei dezentralem Einkauf, Begleitung von Bieterdialogen, Sensibilisierung innerhalb der Verwaltung und Öffentlichkeit für nachhaltige Beschaffung, deutschlandweite Vernetzung) oder
  • seit 2014 beim Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Innern (Aufgaben: Information, Schulung und Aufklärung der Vergabestellen von Bund, Ländern und Kommunen, Erstellen von Beschaffungsleitfäden, Informationsbroschüren und Newslettern, Entwicklung neuer Ideen, Betrachtungsweisen und Ansätze um die Nachhaltigkeit dauerhaft in die Handlungsweise öffentlicher Auftraggeber aller Ebenen zu verankern).

Auch wenn es auf Bundesebene eine Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung gibt, empfehlen wir dringend eine Kompetenzstelle auf Landesebene. Dies ist aus unserer Sicht aufgrund der landeseigenen Besonderheiten sowie der unterschiedlichen Beschaffungsorganisation besonders empfehlenswert. Die Kompetenzstelle auf Bundesebene kann die praktische Umsetzung einzelner Vergabeverfahren nur begrenzt unterstützen. Die Kontrollgruppe und die Beratung der SenUVK zur umweltverträglichen Beschaffung können bislang nur einen Teil des Beratungsbedarfs abdecken.

Darüber hinaus muss als klares Ziel formuliert werden, wohin sich die nachhaltige Beschaffung in Berlin entwickeln soll. Deswegen empfehlen wir zudem die Erstellung eines

2. Berliner Aktionsplan für soziale, ökologische und faire Vergabe

Der Plan gibt Ziele und zeitliche Fristen für ausgewählte Produktgruppen vor, um deren Beschaffung sozial verantwortlich und umweltverträglich weiter zu entwickeln. Er sollte auch von den Bezirken angenommen und unterzeichnet werden.

Als konkrete Maßnahmen für einen Aktionsplan empfehlen wir u.a.

  • Jährlich mindestens ein Pilotprojekt für sensible Produkte (wie beispielsweise Natursteine, Lebensmittel, IT-Produkte, Kaffee, Textilien) durchzuführen, in dem sozial und ökologisch verantwortliche Beschaffung umgesetzt wird. Anhand der Piloten können Zielvorgaben für die Erfolge eines sozial-ökologisch nachhaltigen Einkaufs des Landes Berlin gemessen werden.
  • Für die Umsetzung und Evaluation ist es wichtig, konkrete Zeit- und Zielvorgaben in den Aktionsplan aufzunehmen, wie zum Beispiel:
    • Bis spätestens 2025 nimmt das Landesverwaltungsamt, wo verfügbar, sozial verträglich hergestellte Produkte in den städtischen Katalog auf. Bis dahin wird das Landesverwaltungsamt bei Ausschreibungen konsequent glaubwürdige Nachweise zur Überprüfung der Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen und möglichst darüber hinausgehender Sozialstandards einfordern.
    • Bis 2030 wirtschaftet Berlin klimaneutral. Bis dahin kommen 100 % Prozent des eingesetzten Stroms aus erneuerbaren Energiequellen. (Studie über klimaneutrale Städte)
    • Bis 2021 tritt das Land Berlin in Vertretung durch das ITDZ zur Unterstützung seiner nachhaltigen Beschaffung der Monitoring-Organisation Electronics Watch bei.
    • Bis spätestens Ende 2021 werden alle öffentlichen Einrichtungen des Landes Berlin bei Anlässen mit Bewirtung (Sitzungen, Veranstaltungen etc.) zu 100 Prozent fair gehandelten Kaffee, Tee sowie Orangensaft ausschenken.
  • Weiterentwicklung von Piloten, um daraus standardisierte Beschaffungsvorgänge abzuleiten, die von allen übernommen werden können.
  • Regelmäßiges Schulungsangebot zur sozial verantwortlichen und umweltverträglichen Beschaffung für Verwaltungsmitarbeiter*innen
  • Monitoring und Evaluation: Die vorgegebene Maßnahmen müssen regelmäßig überprüft und daraus eine Weiterentwicklung der nachhaltigen Beschaffung abgeleitet werden. Die Ergebnisse der Überprüfung sollen schriftlich festgehalten und veröffentlicht werden.

Vorbilder für Aktionspläne gibt es

  • in Österreich: Dort wurde 2010 ein Aktionsplan zur nachhaltigen öffentlichen Beschaffung (naBe-Aktionsplan) beschlossen; die Umsetzung ist für den Bund verpflichtend. Der Plan enthält konkrete Umweltkriterien, d.h. ökologische Mindestanforderungen für Produkte aus 16 Beschaffungsgruppen, und fordert die Kriterien des Österreichischen Umweltzeichens, das auch soziale Anforderungen an Herstellungsprozess enthält.
  • in den Niederlanden: Dort wurde nach dem ersten Aktionsplan 2015 der “Action plan for Responsible and Sustainable Procurement by governments 2015-2020″ verabschiedet. Er enthält Umweltkriterien (wie die Nutzung wiederverwendbarer Ressourcen), aber auch soziale Kriterien (wie existenzsichernde Löhne und verbesserte Arbeitsbedingungen).
  • in Rotterdam: Der Aktionsplan von 2018 setzt verschiedene Ziele hinsichtlich sozialer und ökologischer Kriterien, wie niedrige Emissionsstandards für Fuhrpark und Maschinen, die in Bauausschreibungen verwendet werden, 30% Energieeinsparung in öffentlichen Schwimmbädern. Seit 2012 kauft die Stadt 100% fair gehandelten Kaffee ein und bewertet und überwacht kontinuierlich die CSR-Aktivitäten des Zulieferers für Arbeitskleidung nach ISO26000 etc.

Das Berliner FAIRgabe-Bündnis…

… besteht seit 2007 aus umwelt- und entwicklungspolitischen Nichtregierungsorganisationen sowie aus Gewerkschaften. Gemeinsam setzen sie sich dafür ein, dass Aufträge aus öffentlicher Hand unter Berücksichtigung ökologischer, sozialer und fairer Kriterien vergeben werden. Denn: Ob Güter, Dienstleistungen oder Bauaufträge – das Land Berlin gibt Jahr für Jahr gewaltige Summen aus. Das FAIRgabe-Bündnis macht Lobby-, Kampagnen- und Öffentlichkeitsarbeit, um die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung an die Verantwortung der öffentlichen Hand zu erinnern.
Zurzeit besteht das Berliner FAIRgabe-Bündnis aus: Deutscher Gewerkschaftsbund Berlin Brandenburg, BUND Berlin, Berliner Entwicklungspolitischer Ratschlag (BER), Christliche Initiative Romero, Germanwatch und Weltwirtschaft, Ökologie und Entwicklung e.V.

Mehr unter www.fairgabe.berlin

Foto: Maren Kuiter

Ich bin für Ihre Fragen da:

Merle Kamppeter
Referentin für nachhaltige Agrarlieferketten, öffentliche Beschaffung
kamppeternoSpam@ci-romero.de
Telefon: 0251 - 674413-61