Kleidung

Maquila Delegationsreise nach El Salvador

Die Heldinnen von Hermosa

Es sind ganz normale T-Shirts, grün, blau und schwarz, die da auf dem Tisch liegen. Doch in jedem einzelnen Stich, mit dem sie genäht sind, stecken Mut, Stolz, Liebe und Hoffnung.

30. Januar 2015 / von Kathrin Hartmann

CIR-Delegation mit ehemaligen Hermosa Arbeiterinnen

CIR-Delegation mit ehemaligen Hermosa Arbeiterinnen

Sie stammen aus der Nähkooperative ACOPIUS. Die Frauen, die dort beschäftigt sind, haben viele Jahre unter verheerenden Bedingungen für den Weltkonzern Adidas in der Fabrik Hermosa geschuftet. Sie verdienten so wenig Geld, dass sie sich nebenher noch als Haushaltshilfen verdingten oder Nachtschichten in anderen Maquilas übernahmen.
Der Chef, eine gewisser Senior Montalvo, brüllte sie zusammen, zwang sie zu unbezahlten Überstunden und steckte sich die Sozialabgaben in die Tasche, die er den Frauen vom Lohn abzog. Die Situation war so unerträglich, dass die Näherin Estela Ramirez mit anderen Frauen eine Gewerkschaft gründete. Da schloss Montalvo die Maquila und prellte die Frauen auch noch um ihren letzten Lohn.
Tag und Nacht saßen die Arbeiterinnen im Staub vor dem Fabriktor, um den Besitzer daran zu hindern, die Maschinen heraus zu schaffen, während Montalvo ihnen Polizei und Staatssicherheit auf den Hals hetzte. Der Zufall wollte es, dass zu dieser Zeit Maik Pflaum von der Christlichen Initiative Romero mit zwei Kollegen in San Salvador war. Sie lernten Estela kennen, die ihnen von dem Fall erzählte. Die CIR unterstützte die Hermosa-Arbeiterinnen in ihrem Kampf für Gerechtigkeit und setzte den Konzern Adidas, der sich bis heute weigert, die volle Verantwortung zu übernehmen, öffentlich unter Druck.
Montalvo kam sogar vor Gericht und wurde bestraft. Dabei hatte der zuständige Richter, Rigoberto Chica, alles dafür getan, dass Montalvo straffrei entkommen würde. Doch die Näherinnen, die er zum Prozess nicht zugelassen wollte, stürmten das Gerichtsgebäude. Zwar hat Montalvo, der den Frauen 353 000 Dollar schuldete, nie bezahlt. Aber weil die Geschichte der Heldinnen von Hermosa um die Welt ging, richtete die Fair Labour Foundation einen Entschädigungsfonds ein. Die 64 Frauen, die auf der Straße saßen, erhielten zwei Monatslöhne. Insgesamt etwas mehr als 20 000 Dollar – ein Bruchteil dessen, was ihnen zustand. Auch Adidas zahlte zähneknirschend einen kleinen Beitrag. Estela und ihre Kolleginnen hatten eine Präzedenzfall geschaffen – so etwas hatte es in El Salvador nich nie gegeben.
All das ist zehn Jahre her. Keine der Frauen, die sich damals mutig gegen die fürchterlichen Arbeitsbedingungen wehrten, hat jemals wieder eine Anstellung in einer Maquila gefunden. Sie stehen als Gewerkschaftsmitglieder auf schwarzen Listen. Seit zehn Jahre kämpften sie ums Überleben, und immer gemeinsam. Einmal bekamen sie mit, dass die Regierung neue Schuluniformen haben und sie nicht in Maquilas herstellen lassen wollte. Da klapperten Estela und ihre Genossinnen Schulen ab und überredeten sie dazu, dass sie ihnen die Uniformen nähen dürfen.
Aber heute sitzen die Frauen strahlend in dem kleinen Raum, den ihnen die Sportgewerkschaft für unser Treffen zur Verfügung gestellt hat. An den Wänden hängen Bilder von Che Guevara und Luftballons. Die Frauen sind Mitglied in der Näherinnen-Gewerkschaft SITRASACOSI, mit der sie ihre Kolleginnen in den Maquilas unterstützen. Sie selbst arbeiten jetzt in der Kooperative ACOPIUS, die Estela mit den Frauen von Hermosa gegründet hat. „Man hat uns gesagt: werdet Kleinunternehmerinnen“, sagt sie, „aber das wollten wir nicht. Unternehmer waren bei uns einfach zu negativ besetzt.“ Dann fiel ihr ein Buch über Kooperativen aus den 70er Jahren in die Hände: „Etwas gemeinsam zu machen, das für die Gemeinschaft nützlich ist – das war doch etwas für uns.“ Mit einem Kredit einer schwedischen Organisation kauften sie Industrienähmaschinen und schafften es, als Kooperative rechtlich anerkannt zu werden. Nicht, dass sie gut leben könnten von ihrer Arbeit. Sie verdienen sogar weniger als bei Adidas. Denn die Bedingungen sind alles andere als einfach: im Gegensatz zu den Maquilas, die in den Sonderwirtschaftszonen steuerfrei für milliardenschwere Großkonzerne nähen, muss ACOPIUS volle Steuern zahlen. Außerdem muss die Kooperative den Kredit plus Zinsen zurückbezahlen. Obwohl sie 100 T-Shirts am Tag nähen können, haben sie nicht genug Aufträge. Einmal sei der Vertreter einer großen Firma zu ihnen gekommen und war beeindruckt von ihrer Leistung. Er wollte ihnen einen Auftrag für 1000 T-Shirts geben. Doch er wollte nicht mehr als 50 Cent dafür bezahlen. Da lehnten die Frauen dankend ab. „Wir haben ihm gesagt, dass wir hier feministisch wirtschaften und uns nie mehr ausbeuten lassen“, erinnert sich Estela, „da ist er wieder gegangen.“
Die Kooperative ist bei Maria* zuhause untergebracht. Sie lebt in einem der Viertel, dass von Banden kontrolliert wird. Deshalb halten die Näherinnen die Kooperative geheim. Es gab bereits Schutzgeldforderungen, nachdem ein Bandenmitglied mitbekommen hat, dass Nähmaschinen bei Maria im Haus sind. Manchmal ist es im Viertel so unsicher, dass sie gar nicht arbeiten können. Aber trotz aller widrigen Umstände erzählen die Frauen mit glänzenden Augen von ihrer Kooperative. Denn dort gibt es keinen Boss und niemand muss sich mehr anschreien, demütigen oder ausbeuten lassen. Alle entscheiden gemeinsam, alle teilen alles. Auch Kummer und Sorgen.
Der Preis, den die Rebellinnen für ihre Freiheit bezahlt haben, ist hoch. In ihren Familien fanden die Frauen, die nicht mehr stille und demütige Dienerinnen sein wollten, wenig Verständnis. Viele ihrer Ehemänner konnten nicht damit umgehen, dass ihre Frauen gegen ihre Unterdrückung aufgestanden sind und in einer Gewerkschaft für Gerechtigkeit kämpfen. Sie haben sie als Steinewerferinnen und Querulantinnen verunglimpft. Ein der Frauen, Sandra*, weint, als sie davon erzählt. „Aber das wollten wir doch gar nie. Wir wollten doch nur ein besseres Leben für uns und unsere Kinder.“ Margerita nimmt sie in den Arm. Sie hat dasselbe erfahren und sich von ihrem Mann getrennt. „Früher waren wir Frauen voller Angst. Aber wenn man einmal erkannt hat, dass man ungerecht behandelt und erniedrigt wird, dann kann man nicht mehr zurück“, sagt sie. Mit einem warmen Lächeln ergänzt Estela: „Wir haben vielleicht unsere biologischen Familien verloren, aber wir haben eine neue Familie in der Kooperative gefunden.“
Die Arbeiterinnen von Hermosa haben es geschafft, dem Weltkonzern Adidas die Stirn zu bieten und einen kriminellen Fabrikbesitzer vor Gericht zu bringen. Sie haben ihr Leben verändert und sind für viele Frauen und auch Männer zum Vorbild geworden, die ihnen auf ihrem Weg aus der Unmündigkeit folgten. Man kann sagen, dass sie damit auch El Salvador verändert haben. Und ja, ein bisschen auch die Welt.
*Namen von der Autorin geändert

Mehr zur Maquila Delegationsreise

Vom 26. Januar bis zum 6. Februar 2015 hat die CIR eine Delegationsreise zum Thema „Maquila“ (spanisch für Bekleidungsfabrik) ins mittelamerikanische Land El Salvador unternommen. Gemeinsam mit Journalist*innen und entwicklungspolitischen Multiplikator*innen aus Deutschland sowie Mitarbeiterinnen von Nichtregierungsorganisationen aus Rumänien, der Slowakei und Bulgarien trafen wir Partnerorganisationen der CIR aus der Menschen- und Arbeitsrechtsarbeit. Auf dem Reiseplan standen u.a. Treffen mit Fabrikarbeiter*innen, Betriebsgewerkschaften sowie Arbeitsrechtler*innen.

Porträt von Maik Pflaum

Ich bin für Ihre Fragen da:

Maik Pflaum
Referent für El Salvador, Kleidung, Spielzeug
pflaumnoSpam@ci-romero.de
Telefon: 0911 – 214 2345