Guatemala

Indigene verteidigen Wahlergebnis gegen rechtes Establishment

Der Wahlsieg des linken Präsidentschaftskandidaten Bernardo Arévalo war angesichts der Kontrolle des rechtskonservativen Establishments über den Staat eine Sensation. Doch dem Pakt der Korrupten ist jedes Mittel recht, um den Machtwechsel zu verhindern. Jetzt will die Staatsanwaltschaft Arévalo sogar die Immunität entziehen. Die Maya-Bevölkerung und Partnerorganisationen der CIR verteidigen die Demokratie mit aller Kraft.

Demonstrant*innen halten die Umgebung des Gebäudes der Staatsanwaltschaft in Guatemala-Stadt besetzt. Foto: James Rodriguez/mimundo.org

Wir sind es gewohnt, seit einigen Jahren kaum mehr positive Nachrichten über politische Entwicklungen aus Mittelamerika zu bekommen. Autoritarismus, Populismus und Korruption bestimmen die Politik in unseren Partnerländern. Als wir im Januar unsere guatemaltekischen Partnerorganisationen besuchten, war die Stimmung gedämpft, teilweise sogar niedergeschlagen. Der sogenannte Pakt der Korrupten – ein Netzwerk aus rechten Politiker*innen, Militärs und Unternehmen mit Verbindungen zur organisierten Kriminalität – hat die Institutionen, vor allem die Staatsanwaltschaft und die hohen Gerichte, fest im Griff. Zahlreiche kritische Justizbeamt*innen befinden sich aufgrund der Verfolgung im Exil oder in Haft.

Rechtskonservative Eliten manipulieren die Wahl

Für die Wahlen im Juni gab es wenig Anlass zur Hoffnung, denn das Wahlgericht schloss gleich mehrere progressive Kandidat*innen aus, die dem korrupten und extrem konservativen Establishment hätten gefährlich werden können. Doch dann kam die Überraschung: Der Kandidat der sozialdemokratischen Partei Movimiento Semilla (Bewegung Samenkorn), Bernardo Arévalo, belegte mit 17 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang den zweiten Platz und gewann die Präsidentschaftswahl in der zweiten Runde im August gegen die konservative Kandidatin Sandra Torres.

Zwischen den Wahlgängen hatten Akteure des Justizsystems erfolglos versucht, die progressive Partei zu verbieten. Arévalo trat mit dem Versprechen an, die grassierende Korruption zu bekämpfen, die Rechtsstaatlichkeit wiederherzustellen und die enormen sozialen und ethnischen Ungleichheiten abzubauen. Die rechtskonservative Elite hatte den Ex-Diplomaten und studierten Soziologen nicht auf dem Radar, obwohl sein Vater Juan José Arévalo als erster demokratisch gewählter Präsident maßgeblich die Revolution von 1944 bis 1954 prägte. Der unerwartete Erfolg des linken Politikers löste zunächst in den Städten eine Welle der Euphorie aus. Der Ruf „Viva Arévalo“, der sich vor Jahrzehnten an seinen populären Vater richtete, und mit ihm der Mythos um den damaligen Präsidenten wurden schnell wiederbelebt.

Protestierende tanzen vor dem besetzten Gebäude. Foto: James Rodriguez/mimundo.org

Indigene Organisationen verteidigen die Demokratie

Doch die Staatsanwaltschaft unter der Führung der ultrakonservativen Generalstaatsanwältin Consuelo Porras setzte die Kampagne gegen die Partei Semilla unbeirrt fort. Auf Druck der Staatsanwaltschaft entzog das Wahlgericht Anfang September Semilla vorläufig die Rechtsperson. Am 17. November beantragte die Generalstaatsanwaltschaft die Aufhebung der Immunität Bernardo Arévalos und seiner Vizepräsidenten Karin Herrera. Die Fälle stehen im Zusammenhang mit der Besetzung der Universität San Carlos, an der sich Arévalo und Herrera beteiligten, um gegen die gefälschte Wahl des neuen Rektors zu protestieren. Gegen beide sollen jetzt Verfahren eröffnet werden. Außerdem wurden Haftbefehle gegen 28 Personen aus dem Umfeld der Partei erlassen.

Diese massiven Attacken gegen die Demokratie – von Arévalo als „Staatsstreich in Zeitlupe“ bezeichnet – gab der Bewegung um Semilla jedoch einen erneuten Schub. War der Wahlsieg zunächst der Erfolg einer Partei der urbanen und akademischen Mittelschicht, mobilisierten sich nun kommunale indigene Organisationen aus den Provinzen, um den Rücktritt der Generalstaatsanwältin zu fordern. Sie errichteten im ganzen Land über 150 Straßensperren, mit denen sie fast den gesamten Oktober lang den Verkehr weitgehend lahmlegten. Die indigenen Autoritäten wollen bis zur Amtsübernahme am 14. Januar weiter vor der Staatsanwaltschaft demonstrieren. Diese hervorragende Rolle der indigenen Bevölkerung bei der Verteidigung der Demokratie sehen viele Analyst*innen als einmalig in der Geschichte Guatemalas an.

Eine neue Hoffnung für unsere Partnerorganisationen

In einer emotionalen Ansprache im September kündigte Arévalo an, „vier Jahre der Hoffnung und des Fortschritts, wie wir sie seit Jahrzehnten nicht gesehen haben“, stünden bevor. „Aber zunächst sind vier Monate voller Anstrengungen und Solidarität nötig, denn die Tyrannen weigern sich, die Macht abzugeben“, sagte der gewählte Präsident. Bis zu seiner Amtsübernahme ist es noch ein weiter Weg. Die Korrupten werden Arévalo und seiner Partei weiter Steine in den Weg legen. Es gibt auch Befürchtungen, Arévalo könnte Opfer eines Mordanschlags werden. Selbst wenn der gewählte Präsident und seine Partei die juristischen Attacken überstehen, wird er es im Amt nicht leicht haben. Semilla verfügt nur über einige wenige Abgeordnete im Kongress und viele Institutionen werden weiterhin von den Korrupten kontrolliert.

Die aktuellen Entwicklungen in Guatemala zeigen wie zuletzt die Wahl in Polen, dass der autoritäre Populismus als andere als unbesiegbar ist. Auch für unsere Partnerorganisationen eröffnet der politische Wandel neue Perspektiven. Unsere Partnerorganisation CALDH könnte ihre Anstrengungen für die strafrechtliche Aufarbeitung des brutalen Bürgerkriegs (1960 – 1996) und aktueller Menschenrechtsverletzungen fortsetzen, wenn Arévalo die exilierten oder inhaftierten Justizbeamt*innen zurückholt. Umweltorganisationen wie Colectivo Madre Selva könnten für ihren Kampf gegen die Ausbeutung der Natur durch Bergbauprojekte und Palmölplantagen Unterstützung von der Regierung bekommen. Indigene Organisationen wie AFEDES und CONAVIGUA können darauf hoffen, dass die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Diskriminierungen gegen die Maya-Bevölkerung abgebaut und ihre kulturelle Traditionen anerkannt werden.

Unsere Partnerorganisation AFEDES hat die Nationale Bewegung der Weberinnen mobilisiert und bei zahlreichen Blockaden und Protesten Nahrungsmittel an die Demonstrierenden verteilt. „Sie rauben uns unser Land, unser geistiges Eigentum und jetzt auch unsere Stimmen in den Wahlen“, empörte sich Milvian Aspuac in einer Rede vor der Staatsanwaltschaft im Oktober. Die Aktivistin fordert von der Partei Semilla, die indigenen Völker an der Regierung zu beteiligen und ihren Anliegen eine viel stärkere Bedeutung zu geben. Das sei sie den mutigen Verteidiger*innen der Demokratie, von denen viele Frauen sind, jetzt schuldig. Trotz der Attacken des rechten Establishments könnte Guatemala nun ein erneuter demokratischer Frühling bevorstehen.

Porträt von Christian Wimberger

Ich bin für Ihre Fragen da:

Christian Wimberger
Referent für Unternehmensverantwortung, Bergbau, öffentliche Beschaffung, Guatemala
wimbergernoSpam@ci-romero.de
Telefon: 0251 - 674413-21