Kleidung

Nie wieder Rana Plaza?! 10 Jahre danach

Im April 2013 starben beim Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch mehr als 1.130 Menschen. Nun steht der zehnte Jahrestag an. Die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie haben sich seit der Katastrophe teilweise verbessert. Doch an entscheidenden Stellen hat sich immer noch viel zu wenig getan.

April 2023

"Ich möchte nicht für Mode sterben", steht auf dem Schild einer demonstrierenden Frau nach dem Rana-Plaza-Unglück.

„Ich möchte nicht für Mode sterben“, steht auf dem Schild einer demonstrierenden Frau nach dem Rana-Plaza-Unglück.
Foto: Solidarity Center/flickr.com

„Rana Plaza Never Again! Nie wieder Rana Plaza“: Vollmundige Beteuerungen und Versprechen vonseiten der gesamten Modeindustrie gab es genug, nachdem der Einsturz der Textilfabrik in Bangladesch am 24. April 2013 mindestens 1.134 Menschen das Leben gekostet hatte. Zehn Jahre danach arbeiten die meisten Textilarbeiter*innen in Bangladesch in besser vor Bränden und Einstürzen geschützten Gebäuden. Aber übernehmen Modemarken darüber hinaus Verantwortung für das Wohlergehen der Arbeiter*innen in ihren Lieferketten – nicht nur in Bangladesch, sondern weltweit?

Am 24. April 2013 stürzte in der Nähe von Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesch, ein neunstöckiges Gebäude in sich zusammen. Fünf Textilfabriken, die für internationale Modemarken produzierten, waren darin untergebracht. Beim bis heute größten Unglück in der Geschichte der Textilindustrie starben mehr als 1.130 Menschen, über 2000 wurden verletzt. Der Innenminister Bangladeschs ließ verlauten, dass drei der acht Etagen illegal errichtet worden seien, die neunte befand sich im Bau.

Die Katastrophe wäre vermeidbar gewesen

Am Tag vor dem Einsturz war das Gebäude evakuiert worden, weil Risse in den Wänden festgestellt wurden. Trotzdem zwangen die Betreiber der Textilfabriken die Arbeiter*innen dazu, wieder an ihren Arbeitsplatz zu gehen. Verschlossene Türen und blockierte Fluchtwege haben das Ausmaß der Katastrophe vergrößert. Wenige Monate vor dem Einsturz fanden im Rana Plaza Gebäude Audits durch den TÜV Rheinland und das Bureau Veritas statt. Zu den Firmen, die im Rana-Plaza-Gebäude produzieren ließen, gehören u.a. Benetton, C&A, Inditex (Zara), JC Penney, L.C. Waikiki, KiK, Mango, NKD, Primark oder Walmart.

Kaum ein Unglück hat der Weltöffentlichkeit so deutlich vor Augen geführt, unter welch desolaten Arbeits- und Sicherheitsbedingungen in der gesamten Textil-, Kleider- und Schuhindustrie weltweit produziert wird, wie Rana Plaza. Die Katastrophe wäre vermeidbar gewesen. Aber: Die Textilindustrie ist auch heute noch Bangladeschs wichtigster Wirtschaftszweig. 31 Milliarden Euro setzt sie jährlich um. Diejenigen, die gut daran verdienen, haben wenig Interesse daran, an ausbeuterischen Arbeitsbedingungen etwas zu verändern.

Ein Meilenstein für Arbeitssicherheit: der ACCORD

In den letzten zehn Jahren hat sich im Bereich der Gebäudesicherheit in Bangladesch viel getan. Im Mai 2013 kam der längst überfällige „Accord on Fire and Building Safety in Bangladesh“ (ACCORD) zustande, ein Programm für mehr Gebäude- und Brandschutzsicherheit in der bangladeschischen Textilindustrie. Dank des verbindlichen Abkommens, das Marken, Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Akteure*innen nach der Katastrophe abschlossen, wurde es möglich, die Sicherheit mehrerer bangladeschischer Fabriken regelmäßig zu kontrollieren. Wo Mängel auftraten, wurde die Fabrik geschlossen und erst nach deren Behebung wieder geöffnet. Der ACCORD hat eine echte Veränderung bewirkt für die Sicherheit von über vier Millionen Bekleidungsarbeiter*innen in Bangladesch.

Arbeiter und Arbeiterinnen aus Bangladesch halten bunte Plakate, auf denen u.a. steht "We want the ACCORD"

Foto: CCC

Ende Mai 2021 lief der ACCORD aus, nach monatelangen Verhandlungen über die Fortführung des Abkommens einigten sich die internationalen Gewerkschaftsverbände und Vertreter*innen der Modefirmen im September 2021 auf ein neues internationales Abkommen für Gesundheit und Arbeitssicherheit. Dieses baut das durch den Bangladesh Accord eingeführte, erfolgreiche Modell, weiter aus. Doch dass zwischenzeitlich überhaupt infrage stand, ob das so wichtige Abkommen weiter existieren würde, spricht Bände darüber, wie wichtig den Modemarken das Thema Arbeitssicherheit in ihren Lieferketten wirklich ist. Und immer noch haben zahlreiche große Unternehmen, die in Bangladesch Kleidung produzieren lassen, das Folgeabkommen nicht unterzeichnet – darunter z.B. Tom Tailor oder Peek & Cloppenburg aus Deutschland.

Nicht-existenzsichernde Löhne, exzessive Überstunden

So gut und wichtig der ACCORD auch ist: An den problematischen Bedingungen, die über das Thema Gebäudesicherheit hinaus in der Textilindustrie – nicht nur in Bangladesch – herrschen, hat das Abkommen nichts geändert. Zu den fortdauernden Missständen in den Bekleidungsfabriken zählen zu niedrige Löhne und exzessive Überstunden, die die gesetzlich verankerte reguläre Arbeitszeit von 48 Wochenstunden deutlich überschreiten. Wie das Südwind Institut aktuell berichtet, sind die Löhne in den Kleidungsfabriken in Bangladesch weit davon entfernt, existenzsichernd zu sein und somit ein menschenwürdiges Einkommen zu sichern.

Außerdem sind, was die geleisteten Überstunden angeht, laut Südwind Indikatoren für Zwangsarbeit erfüllt. „Erhärtet sich der Verdacht, dass Zwangsarbeit vorliegt, müssen Maßnahmen zu ihrer Abschaffung getroffen werden. Verantwortlich sind dabei nicht nur die Betriebe, in denen diese Missstände vorkommen, sondern auch die Auftraggeber*innen dieser Betriebe (zum Beispiel große Textilunternehmen im Globalen Norden), zu deren menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten es gehört, solche Risiken in ihrer Lieferkette auszuschließen“, schreibt Südwind.

Deutsches Lieferkettengesetz nicht stark genug

Auf Kompensationszahlungen mussten Betroffene und Angehörige nach Rana Plaza teils jahrelang warten. Ebenso auf Gerechtigkeit im juristischen Sinne: Der Prozess gegen ursprünglich 41 des Mordes angeklagte Verantwortliche für die Katastrophe wurde 2017 für fünf Jahre pausiert, einige der Angeklagten sind inzwischen verstorben.

Einen wichtigen Beitrag dazu, dass sich Katastrophen wie Rana Plaza nicht wiederholen, sollte das deutsche Lieferkettengesetz leisten, das im Juni 2021 nach zähem politischem Ringen endlich verabschiedet wurde. Es schreibt deutschen Unternehmen erstmals verbindliche Maßnahmen zur Achtung der Menschenrechte in ihren Lieferketten vor. Ein großer Fortschritt, aber leider hat die Wirtschaftslobby das Gesetz an zentralen Stellen abgeschwächt. Unsere zentralen Kritikpunkte an dem Gesetz sind:

Unternehmen müssen nur bei unmittelbaren Lieferanten präventiv menschenrechtliche und umweltbezogene Risiken analysieren und wirksame Gegenmaßnahmen ergreifen. Die menschenrechtliche Verantwortung bezieht sich also nur auf die unmittelbaren Lieferanten und somit das erste Glied der Lieferkette. Bei mittelbaren Lieferanten in der tieferen Lieferkette müssen sie diese Maßnahmen nur anlassbezogen ergreifen, d. h. wenn sie z. B. von Dritten konkrete Hinweise erhalten.

Der Entwurf enthält keine zivilrechtliche Haftungsregelung mehr, wodurch Geschädigten kein erleichterter Zugang zu deutschen Gerichten gewährt wird. Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen können aber betroffene Menschen vor deutschen Gerichten vertreten.

Positive Entwicklungen nicht global durchgesetzt

Die Europäische Union arbeitet gerade an einem EU-weiten Lieferkettengesetz. Wir setzen uns dafür ein, dass dieses Gesetz im Gegensatz zur deutschen Version die gesamte Liefer- und Wertschöpfungskette von Unternehmen erfasst, ohne Ausnahmen und Schlupflöcher. Und dass es Unternehmen in Haftung nimmt und Geschädigten endlich die Möglichkeit bietet, erfolgreich vor Gerichten in Europa Schadensersatz einzuklagen.

Nach dem Unglück von Rana Plaza geriet die gesamte Textilindustrie in die Kritik. Viele Menschen wurden für die Folgen weltweiter Massenproduktion sensibilisiert. Aber positive Entwicklungen haben sich seitdem in der Branche nicht global durchgesetzt. Es gibt weiterhin zu wenige verbindliche Abkommen oder Gesetze, die zu verbesserten Arbeitsbedingungen und höheren Löhnen führen würden. Freiwillig wird die Bekleidungsindustrie nicht genug dafür tun und Produktionskosten weiterhin so niedrig wie möglich zu halten – auf Kosten der Arbeiter*innen in ihren Lieferketten.

Gedenken – Aktiv Werden – Weitersagen: Diese Möglichkeiten gibt es

  • Setzen Sie sich dafür ein, dass Textilunternehmen Arbeits- und Gesundheitsschutz der Arbeiterinnen gewährleisten! Fordern Sie sie auf, das Abkommen für Gebäudesicherheit und Feuerschutz in Bangladesch zu unterzeichnen und sich für seine Fortsetzung im Herbst diesen Jahres einzusetzen. Protestmail unterzeichnen und weiterleiten unter: ranaplazaneveragain.org Und Petition unterzeichnen direkt hier: Levi’s, IKEA, Amazon: protect workers! (eko.org)
  • Am 1. Mai bei den Demonstrationen der Gewerkschaften mit Protestschildern auf die Verletzung der Rechte der Arbeiterinnen in Bangladesch hinweisen. Infostand am Rand der Demo organisieren.
  • Andere über die Situation in Bangladesch informieren, z.B. mit einem Filmabend mit dem Film „Made in Bangladesh“ und anschließender Diskussion. Der Film kann bei Medienzentralen ausgeliehen werden. Informationen und Material gibt es hier: Webseite Kampagne für Saubere Kleidung
  • Sich für ein starkes europäisches Lieferkettengesetz einsetzen! Zum Beispiel mit unseren Aktionspostkarten an EU-Abgeordnete: Aktions-Postkartenset: Mein Grund für ein Lieferkettengesetz – Christliche Initiative Romero e.V. (CIR) (ci-romero.de)

Porträt von Sandra Dusch Silva

Ich bin für Ihre Fragen da:

Sandra Dusch Silva
Referentin für nachhaltige Lieferketten und Kleidung
duschnoSpam@ci-romero.de
Telefon: 030 - 41723800